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Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
Autoren: Katja Kraus
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des Abends wohlwissend.
    Am kommenden 1. August wird sie mit ihrem Mann anstoßen. Da wäre ihr eigentlicher Ruhestand fällig gewesen. So, wie sie am Jahrestag des Rücktrittes ein Glas Sekt mit ihrem Mann getrunken hat. Präzise um 17 Uhr, dem Zeitpunkt der Abschiedspressekonferenz. Wenn die Wanduhr schlägt. Darauf kann sie sich verlassen.

    Der Bau ist abgeschlossen, »bis auf ein paar Kleinigkeiten«. Nach vier Jahren und einigen verwegenen architektonischen Interventionen schaut Ron Sommer zufrieden auf das vollendete Großprojekt. Er sucht die Abgeschiedenheit hinter hohen Mauern. Aber er genießt auch, dass es jetzt keine zwischenmenschlichen Mauern mehr sind. Er mag den alltäglichen Kontakt mit den Leuten, die Möglichkeit der Nahbarkeit und die, selbst darüber zu entscheiden. Ohne Hysterie und vorgegebene Einordnungen.
    Er hat gelernt, was ihm wirklich wichtig ist, und vor allem, für wen er wichtig ist in diesen Jahren ohne wahrnehmbaren Einfluss und öffentliche Präsenz.
    Seine Emphase für digitale Kommunikation lebt er in seinen Beratungs- und Aufsichtsratsmandaten weiterhin aus, aber eine große Vorstandsaufgabe, die sucht er nicht mehr: »Dafür bin ich zu alt.« Er will unterstützen, begleiten, sein Wissen dort einbringen, wo es gebraucht wird. Und ansonsten das Leben genießen. Hartmut Mehdorn, den schätzt er, auch für seinen unverwüstlichen Antrieb, »aber hätte er mich vorher gefragt, ob er den Job bei Air Berlin übernehmen soll, ich hätte gesagt ›spinnst du eigentlich?‹«. Nicht weil er an dessen Fähigkeiten zweifelt. Vielmehr weil er allzu gut weiß, wie wenig Raum bleibt zum Genuss, gerade in den Zeiten der Krise.
    Ob er diesen Antrieb nicht kennt, nie die Motivation verspürt, es noch mal allen zu zeigen? Der retrospektiven Aufwertung seiner Telekom-Ära nachzuhelfen, mit einem aktuellen Erfolg? »Nein«, sagt er so rigide, als sei er aufgefordert, in der Jogginghose aus dem Haus zu gehen. Er weiß selbst genau, wie seine Telekom-Zeit zu bewerten ist. Welche Fehler er gemacht hat. Welche Erfolge auf sein Konto gehen. Was für ein »Husarenritt« die Privatisierung war. Und lebt damit, dass die Betrachtung von außen eine andere ist.
    Und wenn es ihn doch mal wieder kitzelt, für Sekunden nur, dann schaut er sich die Wand seines Büros ganz genau an. Dort hat seine Frau all die Zeitungskarikaturen aus seiner Telekom-Zeit sorgsam gerahmt und aufgehängt. Ein Mahnmal sozusagen. Es wirkt.

    Der große Wagen fährt mit leichter Verspätung vor. Von drinnen winkt eine zierliche Frau, die im massiven Sitzpolster beinahe versinkt. Sie gibt mir ein ebenso beiläufiges wie unmissverständliches Zeichen zuzusteigen, parallel zu einem energischen Telefonat und der Sichtung wohlgeordneter Akten auf ihrem Schoß. Tanja Gönner ist in ihrem neuen Job angekommen, seit drei Tagen führt sie die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit als Vorsitzende des Vorstandes an. Sie dirigiert mich schon mal in das ausgewählte Lokal, in dem das politische Berlin beim Pizzabrot sitzt. Sie braucht noch einige Minuten, um das Gespräch zu Ende zu führen.
    Das Telefonat ist ein Überbleibsel aus ihrem vorherigen Leben. Oder dem vorvorherigen, als sie Ministerin war und weitreichende Entscheidungen traf, die sie gerade dem Gesprächspartner am Ende der Leitung souverän begründet. Das Leben dazwischen war eines, in dem sie weniger Entscheidungen getroffen hat, zumindest keine politischen. Und immer pünktlich zu Verabredungen kam. Viele Sportsendungen hat sie geschaut, in der Phase der erzwungenen Entschleunigung, zu Hause in ihrem kontemplativen Rückzugsort. Am liebsten Wintersport, aber auch gerne Fußball. Sie hat es gemocht, länger als sechs Stunden zu schlafen, auch mal zu joggen oder mit den Patenkindern in den Zirkus zu gehen.
    Die Zurückweisungen ihrer Partei, die ihr diese Freiräume zur Selbst- und Beziehungspflege erst ermöglichten, die hat sie indes nicht gut ertragen. »Wir wurden abgewählt, aber nicht vertrieben«, sagte einer ihrer Kollegen nach dem desaströsen Wahlergebnis der CDU in ihrem Stammland Baden-Württemberg. Für Tanja Gönner mag sich das anders angefühlt haben. Schwamm drüber, Opposition ist ohnehin »ziemlich blöd«, und ihre Landesfraktion hat sich für eine andere Ausrichtung entschieden. Heute redet niemand mehr von ihren beiden gescheiterten Bewerbungen um den Fraktions- und Bezirksvorsitz. Manchmal kann ein Schritt zurück auch die Weihe zu etwas
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