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Macht der Toten

Macht der Toten

Titel: Macht der Toten
Autoren: Marcel Feige
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Pfarrer war, sondern ein Pater. Das spielte keine Rolle mehr. »Danke«, sagte er nur, schmiss den Stofffetzen in einen der Papierkörbe. Dann wischte er sich die wunde Nase. Er hustete.
    »Hat Sie ganz schön erwischt«, stellte die Frau mitleidig fest und kramte abermals in ihrer Handtasche.
    »Ja«, entgegnete er heiser.
    »Hier.« Jetzt drückte sie ihm ein Lutschbonbon in die Hand, mit Eukalyptus, extra scharf. Er rollte es aus der Folie und schob es zwischen die Lippen. Er dachte daran, wie er dem kleinen Bertie auf dem Flug nach Berlin verschwörerisch einen Kaugummi zugesteckt hatte. Er musste lächeln.
    Auch die alte Dame zeigte ein freundliches Gesicht. »Ganz schönes Mistwetter. Und dann noch die Verspätungen. Haben Sie das auch mitbekommen?« Sie deutete mit ihrer faltigen Hand aus dem Fenster. Ihre Fingernägel waren weinrot lackiert. »Auf dem Flugfeld?«
    Er schaute nicht nach draußen. »Nein, was war denn da?«
    Die Frau zupfte an ihrem Brillengestell. »Das habe ich nicht so genau erkennen können. Meine Augen sind nicht mehr die jüngsten. Aber da haben Sie einen Attentäter erwischt. Jemand sagte, Sicherheitsbeamte hätten ihn vorher schon hier im Terminal verhaften wollen, aber da konnte er angeblich flüchten.«
    »Aha«, sagte Cato. Die Schmerzen in seiner Brust ließen nach. Das Hustenbonbon begann bereits zu wirken.
    »Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn er hier drinnen…« Sie schlug sich die Hand vor den Mund. Sie schüttelte schaudernd den Kopf, und ihr grauer Zopf wackelte. Sie schien den Gedanken nicht weiter verfolgen zu wollen und wechselte abrupt das Thema: »Und wohin führt Sie Ihre Reise, Herr Pfarrer?«
    Cato hatte keine Ahnung, was sein Ziel war. Er wusste nur, das Rom ganz bestimmt nicht in die nähere Auswahl kam. Er würde nie wieder einen Fuß in die italienische Hauptstadt setzen.
    Ihm kam Trujiollo in den Sinn. Nein, in dem kleinen Dörfchen in der Einöde Brasiliens konnte er zwar keine Zuflucht suchen, dort würde man ihn ganz bestimmt wiedererkennen. Aber die Erinnerung an die Abgeschiedenheit und Ruhe, mit der die Menschen dort lebten, erzeugte ein behagliches Gefühl. Genau das Richtige für einen alten Mann wie ihn.
    »Nach Brasilien«, erklärte er, und es kam ihm wie die beste Entscheidung seines Lebens vor.
    »Da war ich noch nie«, sagte die Seniorin versonnen. »Fliegen Sie…«, sie warf einen verstohlenen Blick auf seine Soutane, »… beruflich?«
    »Nein.« Er atmete durch. »Privat.« Das Wort kam ihm seltsam fremd vor. Aber er würde viel Zeit haben, sich daran zu gewöhnen.
    »Dann wünsche ich Ihnen einen guten Flug«, sagte die Frau.
    »Ich Ihnen auch«, antwortete er und meinte es ehrlich. Er war müde und erschöpft, ausgelaugt und krank. Aber bei dem Gedanken an einen warmen Tag irgendwo auf dem Land, in einem kleinen Haus mit einem kleinen Garten, überkam ihn Euphorie.
    Über das Geld für ein Ticket nach Brasilien verfügte er. All die Jahre im Auftrag des Offiziums hatte er einiges von den Spesen, die er verrechnete, beiseitelegen können. Nicht dass er jemals einen Moment wie diesen hatte befürchten müssen. Er hatte es einfach gemacht.
    Er schritt die lange Reihe der Schalter ab. Keine der Fluglinien steuerte Brasilien an. Ein Flug nach Südamerika, über Miami, ging nur vom Flughafen Frankfurt am Main aus. Also suchte er nach einem Last-Minute-Flug nach Frankfurt. Bei Germanwings wurde er schließlich fündig. Er bezahlte mit Visa-Karte.
    Als er einchecken wollte, fragte die Verkäuferin erstaunt: »Haben Sie kein Gepäck?«
    »Nein!«, antwortete er und durchschritt die Sicherheitskontrolle.
    Als er in der Wartehalle ans Fenster trat, sah er einen Leichenwagen auf dem Flugfeld. Mit unbewegter Miene wandte er sich ab, griff zu einer der Zeitungen, die auf den kleinen Tischen verstreut lagen. Sie waren zwar nicht aktuell, aber sie lenkten ab von seinen Gedanken und der Grippe, die sein Körper ausbrütete.
    Irgendwann – er war eingeschlafen – gab eine helle Stimme durch einen Lautsprecher bekannt, dass die Flugfelder vom Schnee geräumt seien und die ersten Maschinen starteten. Catos Kopf fieberte, und der Schweiß war ihm unter der Soutane ausgebrochen. Er ging auf die Toilette, machte sich am Waschbecken ein bisschen frisch, indem er sich Wasser ins Gesicht schöpfte.
    Danach stellte er sich in die Schlange, die am Flugsteig zum Flieger anstand. Nachdem er das Flugzeug betreten hatte, setzte er sich weit nach hinten. Er
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