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Mach's falsch, und du machst es richtig

Mach's falsch, und du machst es richtig

Titel: Mach's falsch, und du machst es richtig
Autoren: Christian Ankowitsch
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Othellos Gegenfrage. Worauf Jago mit einer Negation antwortet: «Um nichts, als meine Neugier zu befriedigen; Nichts Arges sonst.»
    Womit es um den armen Othello auch schon geschehen ist. War die Idee, Desdemona könnte ihm untreu sein, in Othellos Bewußtsein bislang nicht vorhanden, beginnt sie nun, es zu bestimmen. Und zwar angestoßen durch eine winzige Negation: «Nichts Arges sonst.» Dieses in eine Verneinung verpackte «Arge» etabliert im Kopf des «edlen Mohren im Dienste Venedigs» ein Schreckensbild, das er nie mehr abzuschütteln vermag. Othello hakt deshalb auch nach und will von Jago wissen, warum er neugierig sei. Jago antwortet mit der nächsten Negation: «Ich glaubte nicht, er habe sie gekannt.» Und auf diese Weise geht es weiter, lockt Jago seinen verhaßten Feldherrn immer tiefer ins Verderben. Und bedient sich immer wieder der negierten Form, um indirekt neue Beweise für die Untreue Desdemonas zu liefern. So beteuert Jago, Cassio für einen ehrlichen Menschen zu halten, um gleich darauf zu sagen: «Man sollte sein das, was man scheint;/Und die es nicht sind, solltens auch nicht scheinen.» Auf diese Weise kann Jago zwischendurch sogar unschuldig behaupten, er halte Cassio tatsächlich für einen ehrlichen Mann, aber da ist Othellos Denken vom (negierten) Bild des Scheinheiligen schon so infiziert, daß er antwortet: «Nein, damit meinst du mehr:/Ich bitt dich, sprich mir ganz so wie du denkst,/Ganz wie du sinnst, und gib dem schlimmsten Denken/Das schlimmste Wort.» Und genau das tut Jago dann auch. Um Othello schließlich perfiderweise vor den zerstörerischen Auswirkungen ebenjener Eifersucht zu warnen, die er hervorgerufen hat: «O bewahrt Euch, Herr, vor Eifersucht,/Dem grüngeäugten Scheusal, das verhöhnt/Die Speise, die es nährt!» So treibt man jemanden in den Wahnsinn, indem man ständig sagt, etwas
nicht
zu wollen, zu denken und zu tun.
    Wir können also Ideen, Fakten und Regeln nicht nur dadurch in die Welt bringen, indem wir sie in positive Aussagen packen – wir können auch gegenteilig verfahren: sie als Negationen lancieren. Das Internet hat eine Erzählform entwickelt, die uns diesen Mechanismus sehr anschaulich vor Augen führt. So können wir zum Beispiel in Blogs immer wieder Textpassagen entdecken, die durchgestrichen wurden. Warum wohl? Über die Motive der Autoren können wir nur Vermutungen anstellen. Was diese damit erreichen, ist einfacher zu sagen: Sie bringen Dinge in die Welt, indem sie sie negieren. Die Autoren bilden auf wundersame Weise das oben geschilderte Simulationsmodell nach. Wieso lesen Sie eigentlich diese Sätze? Ich habe sie doch durchgestrichen! Und wenn etwas durchgestrichen ist, so bedeutet das klassischerweise: «Weg damit!» oder «Ignorieren!» Und was tun Sie? Lesen einfach weiter! Setzen sich über mich hinweg. Wie bitte? Ich hätte diese Sätze ganz löschen können, um sie verschwinden zu lassen? Und ich wolle offensichtlich, daß Sie sie lesen können? Welch eine Unterstellung!
    Wollen wir also bestimmte Ideen, Fakten und Regeln erst gar nicht in die Köpfe der Menschen gelangen lassen, sind wir schlecht damit beraten, sie hinzuschreiben oder auszusprechen – in durchgestrichener Form ebensowenig wie in negierter. Eine Warnung, die übrigens unter genau dem Problem leidet, das sie anspricht, aber das läßt sich in diesem Fall nicht vermeiden. Oder doch?

Wer versucht, anderen ihre Angst auszureden, bringt sie oft erst auf die Idee, sich zu fürchten. Negationen sind nämlich ein zweischneidiges Schwert.
    Genau das aber tun viele Menschen immer wieder. Indem sie zum Beispiel von Medien verlangen, jene Lügen, Gerüchte oder Verleumdungen wieder aus der Welt zu schaffen, die sie über sie verbreitet haben. Für diesen Zweck hat sich der Gesetzgeber das Instrument der Entgegnung ausgedacht. Ganz nach dem Motto: «Aug um Aug, Satz um Satz.» Es gibt gute Gründe,
keinen
Gebrauch davon zu machen – selbst dann nicht, wenn wir als Betroffene über die haltlosen Unterstellungen wütend oder gekränkt sein sollten. Denn das Instrument der Gegendarstellung sieht vor, daß alle falschen Behauptungen Satz für Satz wiederholt werden müssen, also «ohne Einschaltungen und Weglassungen in gleicher Aufmachung wie die Tatsachenbehauptung» [212] .
    Das ist zwar grundsätzlich vernünftig – wie sollte ein unbeteiligter Leser sonst nachvollziehen können, worum es im Detail geht? Aber die Wiederholung der beanstandeten Aussagen hat einen höchst
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