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Macabros 087: Myriadus, der Tausendfaltige

Macabros 087: Myriadus, der Tausendfaltige

Titel: Macabros 087: Myriadus, der Tausendfaltige
Autoren: Dan Shocker
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du hast mir das Märchen schon zum x-ten Mal
erzählt.«
    »Es ist kein Märchen, Bertrand! Ich habe sie nicht nur
gesehen – ich habe sie auch angefaßt. Und da habe ich sie
gefühlt, sie war nicht aus Luft, keine Einbildung, keine
Halluzination!«
    »Ich glaub’s erst, wenn ich sie auch gesehen und
gefühlt habe.«
    »Deshalb rudern wir ja hin.«
    »Nicht ganz verstehe ich, weshalb wir mitten in der Nacht das
Unternehmen starten und nicht am Nachmittag, gleich nach deiner
Rückkehr…«
    »Das habe ich schon mehr als einmal versucht, dir zu
erklären. Sie selbst hat darum gebeten, zu später Stunde
wieder zu kommen.«
    »Wenn ich nicht schon Jahre mit dir befreundet wäre,
würde ich sagen, du hast den Verstand verloren. Das Ganze kommt
mir vor wie die legendäre Geschichte von der einsamen
Urwaldgöttin, von der Weißen, die nur mit einem
Lendenschurz bekleidet im Dschungel als kleines Mädchen verloren
ging und schließlich wieder auftauchte, verehrt von den
Eingeborenen als Göttin. Da weit und breit kein Urwald zu sehen
ist, könnte man annehmen, deine nackte Schöne sei den
kühlen Fluten entstiegen wie die sagenhafte Undine.«
    »Irgendwoher muß sie kommen. Sie war aus Fleisch und
Blut, Bertrand.«
    »Eine Schiffbrüchige, die sich auf eine einsame Insel
gerettet hat, war sie aber nicht?«
    »Du kannst es nicht lassen, spitze Bemerkungen zu machen.
Nein, von einer Schiffbrüchigen kann keine Rede sein.«
    »Wie alt war sie denn?«
    »Ich schätze sie auf achtzehn, neunzehn.«
    »Hm, vielleicht, Alain, ist sie von zu Hause ausgerissen und
richtete sich auf der Felseninsel eine eigene kleine Welt ein. Sie
lebt von Fischen und Muscheln, hin und wieder auch von etwas
Frischgemüse in Form von Seetang. Wegen der Vitamine. Die machen
eine reine Haut und sorgen für gutes Blut. Das Mädchen
scheint so ein richtiger kleiner, weiblicher Robinson zu sein. Sie
liebt das Inselleben, will aber nicht mehr allein sein. Also lacht
sie sich einen Mann an. Die Wahl fällt ausgerechnet auf meinen
besten Freund Alain. -Du machst doch wirklich keinen Unsinn mit mir,
nicht wahr?« stellte er plötzlich todernst diese Frage.
    »Nein, Bertrand. Ich schwöre dir, es hat sich alles so
zugetragen, wie ich es dir geschildert habe. Ich kann es selbst kaum
fassen. Deshalb will ich mir jetzt Gewißheit verschaffen. Und
du sollst dabei sein – entgegen ihrem ausdrücklichen
Wunsch, heute am späten Abend noch mal zu kommen. Allein.
Sprechen wir gleich über die Einzelheiten, Bertrand. Nach meiner
Ankunft bleibst du im Boot zurück und verhältst dich still
wie eine Leiche.«
    »Und wenn das Ganze eine Falle ist?« fragte Dupont.
    »Wie kommst du darauf? Warum und weshalb sollte es eine Falle
sein?«
    »Nur so… vielleicht lebt sie gar nicht allein, ist nur
ein Lockvogel, und jemand will dir ans Zeug.«
    »Unsinn, Bertrand! Ich habe nichts bei mir, was zu rauben
sich lohnt. Außerdem wird der ›Lockvogel‹ sich dann
nicht ausgerechnet eine zerklüftete Felseninsel aussuchen, wo
den ganzen Tag kein Mensch vorbeikommt. Du hast manchmal komische
Gedanken.«
    »Ich habe schon wieder welche, Alain… warum, so frage
ich mich die ganze Zeit, hat sie dich aufgefordert, noch mal zu
kommen, aber diesmal bei Dunkelheit?«
    Alain Moreau blickte auf. »Das, Bertrand, beschäftigt
mich auch. Ich sehe keinen Sinn darin, aber bald werde ich auch mehr
über diese mysteriöse Bemerkung wissen. In einer halben
Stunde sind wir am Ziel – dann erfahre ich so einiges.«
     
    *
     
    Nach geraumer Zeit stellten sie ihre Gespräche ein.
Schweigend und kraftvoll näherten sie sich den kahlen Felsen,
deren zerklüftete Oberfläche unter dem Licht der am Himmel
stehenden Sterne schon von weitem zu sehen war.
    Das Knarren der trockenen Riemen und das Plätschern der
Wellen gegen die Außenwände des Bootes waren die einzigen
Geräusche.
    Während der Fahrt zu der Felseninsel hob Moreau mehrere Male
sein Nachtglas an die Augen und suchte aufmerksam das
zerklüftete Ufer ab.
    Dort schien alles leer.
    Noch fünfzig Meter bis zu dem fraglichen Felsplateau.
    »Da hat sie gestanden, Bertrand«, sagte Moreau leise.
»Nackt und schön, wie Gott sie geschaffen hat. Und jetzt
bin ich nur gespannt, wie…«
    Das waren seine letzten Worte.
    Das Grauen überfiel die beiden Ruderer.
    Eine riesige Fontäne stieg neben dem schaukelnden Boot auf.
Dunkelrot und schwarz wuchs das Ungetüm in die Höhe und war
bald so groß wie die Felsen im Hintergrund.
    Alain Moreau blieb der
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