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Macabros 039: Im Verlies der Hexendrachen

Macabros 039: Im Verlies der Hexendrachen

Titel: Macabros 039: Im Verlies der Hexendrachen
Autoren: Dan Shocker
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Wetter
konnten auch die härtesten Steine nicht ewig widerstehen. Und
der Zahn der Zeit hatte sichtbar an dem Mauerwerk genagt, in dessen
Spalten und Rissen Moos und Unkraut wuchsen. Sogar kleine Bäume
hatten sich hier entwickelt, und die sich kräftigenden Wurzeln
sprengten das morsche Gestein weiter auseinander.
    Frandon benutzte die im Lauf der Jahrhunderte terrassenförmig
nach vorn gekippte und halbhohe Tormauer wie Treppenstufen, um in das
Innere des düsteren Schloßhofes zu gelangen.
    Die angenagten Türme und die hohen Zinnen ragten steil in den
Himmel, der sich inzwischen bewölkt hatte. Eine unheimliche Ruhe
umgab den Eindringling.
    Der Innenhof war mit großen, schwarzen Felssteinen
gepflastert. Zwischen den breiten Fugen wuchsen auch hier Gräser
und Unkraut, doch die waren bei weitem nicht so gut entwickelt, wie
die Flora vor dem wuchtigen Gemäuer. Hier im Hof fehlte die
Sonne.
    Sich aufmerksam umsehend durchquerte Frandon den Hof. Der Wind
pfiff in den Mauerlöchern und Fugen und ließ die
Einsamkeit noch fühlbarer werden.
    Die Luft hier oben war frisch, um sie nicht kalt zu nennen.
Frandon lief auf ein großes Loch in der gegenüberliegenden
Mauer zu, durch das fauchend der Wind strich.
    Frandon warf einen Blick in die Tiefe und ihm schwindelte.
    Kerzengerade fiel der Fels, auf dem der Comte de
Barteaulieé sein Schloß errichtete, in die Tiefe. Wind
und schäumende Wellen umtosten den Fuß der
zerklüfteten Küste, und die Wasserfontänen spritzten
meterhoch an dem schwarzen, scharfkantigen Gestein empor.
    Es gab zahlreiche verwinkelte Nischen und Durchlässe, die in
quadratischen Gärten und in andere Bezirke des Schlosses
führten.
    Harry Frandon wählte bewußt die schmale Tür mit
dem rostigen Eisentor, die hineinführte in einen verwilderten
Garten. Der lag genau auf der Seite des Schlosses, die von der
drüben auf dem Berg liegenden Wirtschaft gut eingesehen werden
konnte. Wild romantisch ragten die düsteren Türme und die
Zinnen in die Höhe, verhältnismäßig steil fiel
eine aus hohem Gras bestehende Wiese ab, auf der auch Akazien
wuchsen. Hier hatte er auch gesehen, wie die nackte Schöne
sonnenbadete.
    Auf dieser dem Meer abgewandten Seite war die Luft wärmer,
weil das massive, trutzige Mauerwerk des Schlosses den Wind
abhielt.
    Auf der anderen Seite war ein noch schmaleres Tor, aus dem man den
Garten verlassen konnte – und das in einen Bezirk führte,
der von außen und auch von jenseits des Berges nicht einsehbar
war.
    Harry Frandon fuhr zusammen wie unter einem Peitschenschlag.
    Hier stand ein Trakt, der nichts mehr gemein hatte mit der Ruine,
für die man das Schloß des Comte im allgemeinen hielt.
    Dieser Trakt war so gut erhalten, daß sich dem
Engländer unwillkürlich die Frage aufdrängte, wann
wohl hier zuletzt Restaurationsarbeiten stattgefunden
hätten.
    Die kleinen rechteckigen Fenster waren erhalten, das Mauerwerk
machte keinen morschen Eindruck, das Dach des Anbaus war mit
dunkelroten Ziegeln gedeckt, auf dem sich große, grüne
Moosflächen ausdehnten.
    Frandon schloß die Augen und öffnete sie wieder.
    Er träumte nicht. Die Bilder blieben.
    Dieser Trakt hier machte den Eindruck, als wäre er bewohnt!
Es hätte ihn nicht verwundert, wenn jemand…
    »Hallo!« sagte da plötzlich eine Stimme neben ihm,
und Frandon fuhr wie elektrisiert herum. »Wie kommen Sie denn
hier herauf?«
    Der Engländer starrte hinauf zu dem Fenster im ersten Stock
schräg hinter sich und glaubte zu träumen.
    Dort oben am Fenster stand die dunkelhaarige Frau, die er heute
morgen nackt im Gras vor der dem Berg zugewandten Seite des Schlosses
gesehen hatte.
     
    *
     
    »Hallo!« Es fiel ihm schwer, seine Verwunderung zu
verbergen. Er mußte wohl ziemlich ungeniert nach oben gestarrt
haben, denn ihr leises Lachen ließ einen gewissen Spott nicht
überhören.
    Sie trug ein tiefausgeschnittenes, sehr sommerliches Kleid mit
schmalen Trägern. Ihre Haut war samten und zart gebräunt.
Die Fremde machte einen frischen und fröhlichen Eindruck, und
sie wandte einmal den Kopf nach hinten, sprach in den Raum, und
Frandon hörte gleich darauf zwei ferne, männliche
Stimmen.
    Sie war also nicht allein hier im Schloß.
    Es war bewohnt.
    Und keiner wußte das?
    Er konnte sich das kaum vorstellen, aber es mußte wohl so
sein. Andererseits wiederum war es auch gut möglich, daß
die Bewohner drunten im Dorf und der Wirt es zwar wußten, die
Tatsache aber ignorierten. Das Geschlecht der Barteaulieés
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