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Lyonesse 3 - Madouc

Titel: Lyonesse 3 - Madouc
Autoren: Jack Vance
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Wind pfiff durch ihre Hallen und Flure und ließ die Kerzen in den Wandleuchtern flackern; nächtens wanderten Geister durch die Gänge und betrauerten alte Tragödien.
    Im äußersten Westen der Marsch war ein Ödland, das wenig mehr gedeihen ließ als Dorngestrüpp, Disteln, braunes Riedgras und ein paar dürftige Gehölze aus verkümmerten schwarzen Zypressen. Das Ödland, bekannt als Ebene der Schatten, stieß im Süden an die Ausläufer des Großen Waldes, grenzte im Norden an die Squigh-Sümpfe und berührte im Westen den Langen Dann, eine Steilböschung von dreihundert Fuß Höhe und fünfzig Meilen Länge, hinter dem sich die Hochmoore von Nord-Ulfland erstreckten. Der einzige Weg von der Ebene zu den Hochmooren führte durch eine Kluft im Langen Dann. In den alten Zeiten war eine Festung in die Kluft hineingebaut worden, die den Spalt mit ihrer steinernen Masse dergestalt erfüllte, daß sie zu einem Bestandteil des Felsenklippen geworden war. Ein Ausfalltor öffnete sich nach unten zur Ebene hin, und hoch oben schützte ein langer Wehrgang eine breite Terrasse. Die Danaer hatten die Festung ›Poëlitetz, die Unbezwingbare‹ genannt; sie war noch nie im Frontalangriff genommen worden. König Aillas von Troicinet hatte sie von hinten attackiert und so die Ska von der Stätte vertrieben, die über lange Jahre hinweg ihr vorderster Stützpunkt auf dem Festland von Hybras gewesen war.
    Aillas stand jetzt mit seinem Sohn Dhrun an der Brustwehr und schaute hinaus auf die Ebene der Schatten. Es war kurz vor Mittag; der Himmel war klar und blau; heute war die Ebene bar jener flüchtigen Wolkenschatten, denen sie ihren Namen verdankte. Wenn sie so nebeneinanderstanden, sahen Aillas und Dhrun sich sehr ähnlich. Beide waren schlank, breitschultrig und von einer kraftvollen Behendigkeit, die eher auf geschmeidiger Sehnigkeit denn schwerer Muskelmasse beruhte. Beide waren von mittlerer Statur; beide hatten klare, ebenmäßig geschnittene Züge, graue Augen und hellbraunes Haupthaar. Dhrun war unbekümmerter und zwangloser als Aillas; sein Stil und Auftreten ließen einen Hauch von sorgsam gezügelter Leichtlebigkeit erkennen, gepaart mit einer unbestimmbaren beschwingten Eleganz: Eigenschaften, die seiner Persönlichkeit Anmut und Farbe verliehen. Aillas, befangen von hundert schweren Verpflichtungen, war etwas stiller und nachdenklicher als Dhrun. Sein königlicher Rang erforderte, daß er sein natürliches Feuer hinter einer Maske höflicher Unparteilichkeit verbarg: zu einem solchen Grade, daß dieser Zug ihm fast in Fleisch und Blut übergegangen war. Gleicherweise benutzte er oft eine an Schüchternheit grenzende Milde, um seine wahre Kühnheit zu verhehlen, die fast schon Tollkühnheit genannt zu werden verdiente. Seine Fechtkunst war superb; sein Witz tanzte und blitzte mit der gleichen treffsicheren Zielgenauigkeit wie sein Schwert, einem gleißenden Sonnenstrahl gleich, der unvermittelt durch die Wolken bricht. Bei solchen Gelegenheiten verwandelte sich sein Gesicht, so daß er für einen Moment so jugendlich und fröhlich wie Dhrun selbst erschien.
    Viele, die Aillas und Dhrun zusammen sahen, hielten sie für Brüder. Wenn ihnen versichert wurde, daß dies nicht der Fall sei, pflegten sie erstaunt zu fragen, wie es denn angehen könne, daß Aillas schon in so frühem Lebensalter ein Kind gezeugt habe. Tatsächlich war Dhrun im Säuglingsalter zum Elfenhügel von Thripsey Shee gebracht worden und hatte dort bei den Elfen gelebt. Wie viele Jahre er dort verbracht hatte, ob acht, neun oder gar zehn, vermochte niemand zu sagen. Fest stand allein, daß die Zeit in der Außenwelt währenddessen lediglich um ein Jahr vorgerückt war. Aus zwingenden Gründen waren die Umstände von Dhruns Kindheit geheimgehalten worden, allen Spekulationen und Mutmaßungen zum Trotz.
    Die zwei standen über die Brüstung gelehnt und hielten Ausschau nach denen, die zu empfangen sie hergekommen waren. In Aillas rief der Ort alte Erinnerungen wach. »Ich fühle mich hier nie wohl; Verzweiflung scheint in der Luft zu hängen.«
    Dhrun ließ den Blick über die Terrasse schweifen, die im hellen Sonnenschein eigentlich recht harmlos anmutete. »Der Ort ist alt. Er muß durchdrungen sein von Elend, welches auf der Seele lastet.«
    »Du spürst es also auch?«
    »Nicht in sonderlichem Maße«, gestand Dhrun. »Vielleicht fehlt es mir an Empfindsamkeit.«
    Aillas schüttelte lächelnd den Kopf. »Die Erklärung ist einfach: du wurdest nie
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