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Lyonesse 2 - Die grüne Perle

Titel: Lyonesse 2 - Die grüne Perle
Autoren: Jack Vance
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ratlos.«
    »Ihre Unergründlichkeit ist womöglich nicht ganz unbeabsichtigt«, bemerkte der ehemalige Priester.»Sie gibt Dialektikern, die sonst vielleicht der Öffentlichkeit zu Last fallen oder schlimmstenfalls Schwindler und Betrüger werden möchten, endlose Beschäftigung. Darf ich fragen, mit wem zu plaudern ich das Vergnügen habe?«
    »Natürlich. Ich bin Sir Tristano von Schloß Mythric in Troicinet. Und Ihr?«
    »Ich bin auch von edlem Geblüt, oder es hat doch wenigstens den Anschein. Einstweilen indessen benutze ich den Namen, den mein Vater mir gegeben hat, nämlich Orlo.«
    Sir Tristano winkte der Schankmaid und bestellte Met und Honigkuchen für sich und für Orlo. »Dann darf ich annehmen, daß Ihr Euch endgültig von der Kirche zurückgezogen habt?«
    »Ganz recht. Stoff für eine schmutzige Geschichte. Ich wurde vor den Abt gerufen, um mich gegen den Vorwurf der Trunkenheit und der Hurerei zu rechtfertigen. Ich legte meine Ansichten in einer Weise dar, die jedem vernünftigen Menschen eingeleuchtet und ihn überzeugt hätte. Ich versicherte dem Abt, unser gnädiger Herrgott hätte die saftigen Törtchen und das leckere Bier nie geschaffen – von dem Zauber fröhlicher Weiber einmal ganz zu schweigen –, wenn er nicht gewollt hätte, daß man sich dieser Dinge auch nach Kräften erfreut.«
    »Der Abt zog sich in seiner Entgegnung zweifellos auf ein Dogma zurück?«
    »Genau! Er brachte Bibelstelle über Bibelstelle zum Vortrag, um seine Haltung zu rechtfertigen. Ich gab zu bedenken, daß sich bei der Übersetzung Fehler eingeschlichen haben könnten und daß wir nachsichtig gegen uns selbst sein sollten, solange wir nicht sicher seien, daß freiwilliges Verschmachten und Kasteiung unserer Drüsen dem Willen unseres glorreichen Herrn entsprächen. Nichtsdestoweniger warf der Abt mich hinaus.«
    »Geleitet von Eigeninteresse, daran zweifle ich keinen Augenblick«, meinte Sir Tristano. »Denn wenn jeder seinem Gott dienen würde, wie es seiner Art am genehmsten ist, dann hätte der Abt wie auch der Papst niemanden mehr, dem sie ihre Befehle erteilen könnten.«
    Im nächsten Augenblick wurde Sir Tristanos Aufmerksamkeit von einer bewegten Szene gefesselt, die sich auf der anderen Seite des Platzes abspielte. »Was soll der Aufruhr dort drüben? Alle tanzen und springen, als wären sie unterwegs zu einem Fest.«
    »Es ist in der Tat eine Art Fest«, antwortete Orlo. »Seit fast einem Jahr schon versetzt ein blutrünstiger Pirat alles auf dem Meer in Angst und Schrecken. Habt Ihr den Namen ›Flary der Rote‹ schon einmal nennen hören?«
    »Das habe ich in der Tat! Mütter benutzen diesen Namen, wenn sie ihre Kinder schrecken wollen.«
    »Flary ist beispiellos«, sagte Orlo. »Er hat die Tollkühnheit des Strauchdiebs zum Gipfel der Tugend erhoben, und immer trägt er eine glückbringende grüne Perle im Ohr. Eines Tages hatte er diese Perle verlegt und wagte sich dennoch an einen Überfall. Das war sein großer Fehler. Was aussah wie ein fetter Kauffahrer, war eine Falle: Fünfzig godelische Feuerfresser schwärmten an Bord des Piratenschiffs. Der rote Flary wurde gefangengenommen. Und heute wird er seinen Kopf verlieren. Wollen wir bei der Zeremonie zuschauen?«
    »Warum nicht? Solche Spektakel bestätigen nur immer wieder den Triumph der Tugend. Es wird ein lehrreiches Erlebnis sein, das uns zu besseren Menschen machen wird.«
    »Wohl gesprochen. Ich wünschte, alle Menschen wären so vernünftig.«
    Die beiden machten sich auf den Weg zur Henkersplattform, und hier sah Orlo sich genötigt, einen graugesichtigen kleinen Mann zu schelten, der versucht hatte, ihm den Beutel zu stibitzen. »Bursche, dein Benehmen führt dich auf dem schnellsten Wege zum Henkersblock! Kannst du denn überhaupt nicht in die Zukunft denken? Jetzt muß ich dich der Garde übergeben.«
    »Die Pest soll dich holen!« Der Taschendieb entwand sich Orlos Griff. »Es gibt keine Zeugen.«
    »Irrtum!« rief Sir Tristano. »Ich habe alles mitangesehen. Ich selbst werde die Garde herbeirufen.«
    Der Taschendieb stieß eine weitere Beschimpfung aus, duckte sich und verschwand im Gedränge.
    »Ein durchaus unerfreulicher Zwischenfall«, stellte Orlo fest. »Zumal da heute alle Herzen froh sein und alle Gesichter freudig strahlen sollten.«
    Sir Tristano fühlte sich bemüßigt, hier eine Einschränkung anzuknüpfen. »Nur nicht das Gesicht und das Herz des roten Flary.«
    »Das versteht sich von selbst.«
    Aus der Menge drangen
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