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Lycana

Lycana

Titel: Lycana
Autoren: Ulrike Schweikert
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Heck und dann zu den vier Masten mit den festgezurrten Segeln hinaufgleiten. Von den Wanten aus musste  man einen wunderbaren Blick über das Meer und die Insel haben, an deren Küste sie ankerten.
    Franz Leopold griff nach den zu einem Netz verbundenen Tauen und zog sich hoch. Trotz des Fracks und der eleganten Lederschuhe mit den glatten Sohlen bereitete es ihm keine Schwierigkeiten. Er stieg immer höher, bis er die Rah erreichte, an der das oberste Segel des Großmasts befestigt war. Franz Leopold hockte sich auf das gerundete Holz und sog genüsslich die Gerüche ein. Der Mond malte silberne Streifen auf das glatte Wasser, der Nachtwind strich durch sein Haar. Vorn am Bug konnte er die beiden Bordwachen erkennen. Doch sein Blick richtete sich auf eine weitere Gestalt, die hinten durch eine Tür auf das Deck hinausschritt. Der Mond verbarg sich für einige Augenblicke hinter den Wolken und tauchte dann das Schiff wieder in sein Licht. Die Gestalt unter ihm trat an die Reling. Er stutzte. Zwei Dinge fielen ihm auf: Ihr fehlte die warme Aura der Menschen - und sie warf keinen Schatten! Franz Leopold stöhnte. Dann war sein Verschwinden doch nicht unbemerkt geblieben. Nun gut, sollte er nach ihm suchen. Noch hatte ihn der Verfolger nicht erspäht.
    Nachdenklich betrachtete Franz Leopold den Vampir unter sich. Warum sah er auf das Meer hinaus, wenn es seine Aufgabe war, ihn zu finden? Und wer war das dort unten überhaupt? Da seine Cousinen sich nicht einmal, wenn sie sich zur Ruhe legten, von ihren ausladenden Kleidern trennten, schieden sie schon einmal aus. Auch Matthias konnte es nicht sein. Dafür war die Gestalt zu schlank. Nun schlenderte sie an der Reling entlang. Nein, Karl Phillip war es ebenfalls nicht, doch die Art, wie sie sich bewegte, war ihm bekannt.
    Eine Erinnerung stieg in ihm auf. Erst verschwommen, dann immer klarer. Konnte das möglich sein? Neugierig machte sich Franz Leopold an den Abstieg. Er hatte erst die Hälfte des strickleiterartigen Netzes überwunden, als er bereits sicher war. Noch hatte sie ihn nicht bemerkt. Vermutlich wusste sie nicht einmal, dass sie auf demselben Schiff reisten.
    Als er nur noch sieben Seilsprossen über dem Boden war, öffnete Franz Leopold seinen Geist, bis er ihre Gedanken streifte. Er fand nur freudige Erwartung und Erinnerungen an Rom und ein fast kindliches Staunen über die Schönheit der Nacht und das Mondlicht, das silbern von Welle zu Welle sprang und sie an Ivy erinnerte. Doch plötzlich stutzte sie. Noch ehe die Vampirin begreifen konnte, was ihr Misstrauen geweckt hatte, ließ sich Franz Leopold hinter ihr auf die Planken fallen. Sie fuhr herum und riss die blaugrauen Augen auf.
    Gemächlich reckte sich Franz Leopold zu seiner vollen Größe und schnippte eine Hanffaser vom Ärmel seiner Frackjacke. »Ah, Alisa de Vamalia aus Hamburg«, sagte er mit näselnder Stimme. »Ich sehe dich überrascht? Ja, es ist mir nicht entgangen, dass deine Sinne so vom Anblick des nächtlichen Meeres gefesselt waren, dass du geradezu sträflich die Beobachtung deiner Umgebung versäumt hast. Du bist über den Sommer nachlässig geworden! Ich hätte dir unbemerkt ins Genick springen können - wenn mir danach zumute gewesen wäre.«
    Er betrachtete sie eingehend. Alisa war über den Sommer ein wenig größer und schlanker geworden. Die Wangenknochen schienen deutlicher hervorzutreten. Sie trug eine einfache Jacke über schwarzen Hosen. Das lange blonde Haar mit dem Kupferschimmer hatte sie geflochten und zu einem Knoten hochgesteckt. Nicht gerade eine raffinierte Aufmachung, und doch passte sie zu ihrer etwas burschikosen Figur und den offenen Gesichtszügen.
    Sie erholte sich schneller von ihrem Schreck, als Franz Leopold erwartet hätte, und auch ihre Miene beherrschte sie fast meisterhaft. Hätte er nicht ihre Gefühle gelesen, hätte er sich womöglich von ihrer gelangweilt klingenden Stimme täuschen lassen. So aber spürte er die rasche Abfolge von Erschrecken, Überraschung, einem Augenblick der Freude verdrängt von der alten Abneigung, die sie ihm entgegenbrachte.
    »Franz Leopold de Dracas, sieh an. Was man in Hamburg nicht so alles in die Frachträume gepackt hat.«
    In diesem Moment bemerkte sie den Lauscher in ihren Gedanken und beförderte ihn rüde hinaus. Sie hatte nicht nur gelernt, ihr Herz nicht auf der Zunge zu tragen, auch ihre mentalen Kräfte waren stärker geworden.
    »Du bist deinen Aufpassern doch nicht etwa heimlich davongelaufen?«
    Franz
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