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Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini

Titel: Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
Autoren: Alex Thomas
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Tiefe,
    während er Gott dafür dankte, dass er halbwegs schwindelfrei war.
    Der erste Felsvorsprung versperrte ihm tatsächlich auch von hier oben
    die Sicht auf den zweiten. Ben nahm einen dicken, schweren und kurzen
    Ast, den er von weiter unten mitgebracht hatte, und schleuderte ihn in die Tiefe. Der Ast blieb nach einem beeindruckenden Flug auf dem nächsten
    Felsvorsprung liegen. Jetzt war Ben sich sicher, dass Darius niemals
    einfach nur am Rand ausgerutscht war. Wenn das der Fall gewesen wäre,
    wäre er auf dem ersten Vorsprung gelandet und hätte den Sturz
    höchstwahrscheinlich überlebt.
    Doch sein Mentor war auf dem zweiten Felsvorsprung aufgeschlagen,
    tödlich, und das ließ nur eine Erklärung zu: Jemand, der erheblich größer und stärker als der alte Pater gewesen war, hatte ihn gepackt und weit
    über den ersten Vorsprung hinausgeschleudert.

8.

    Gegenwart, Rom, Apostolischer Palast

    Es gab Tage, da hätte Seine Heiligkeit Leo XIV. die Apostolische
    Verfassung samt aller lebenden Kurienkardinäle am liebsten zum Teufel gejagt. Es gab Tage, da wünschte er sich – bei aller Demut den wahren
    Gläubigen und bei allem Respekt den aufrichtigen Zweiflern
    gegenüber –, er hätte die Wahl zum Pontifex maximus, zum
    Stellvertreter Christi auf Erden, zum Oberhaupt der katholischen Kirche
    abgelehnt.
    Doch er hatte es nicht getan. Er hatte in der Sixtinischen Kapelle
    gestanden, unter dem von Michelangelo erschaffenen Deckenfresko, und
    die Frage des Carmelengo mit »Ja, ich nehme die Wahl an« beantwortet, ganz wie es ihm ein vertrauter Freund prophezeit hatte.
    Natürlich hatte Leo zu ahnen geglaubt, was sein konservativer
    Vorgänger Papst Innozenz bei ihren seltenen Treffen im Vatikanpalast
    gemeint hatte, wenn er von der Ohnmacht der Macht oder vom Alptraum
    der Hilflosigkeit gesprochen hatte. Aber erst das eigene Leben als Papst hinter vatikanischen Mauern hatte ihn wieder an die alte Weisheit
    erinnert, dass zu wissen glauben und tatsächlich zu wissen selten
    dasselbe Paar Schuhe sind. Die Päpste der Vergangenheit hatten ihm
    eine schwere Erblast hinterlassen. Leo war der Chef einer gewaltigen
    Bürokratie, die sich auf Gott und die Wahrheit berief, doch die
    Wahrhaftigkeit schien für die meisten seiner Mitbrüder nur noch ein
    lästiges Detail zu sein.
    Leo erhob sich aus dem Betstuhl und verneigte sich vor dem Kreuz. Die
    traditionelle morgendliche Einkehr, die Messe, die Lobpreisung und das
    erste Stundengebet hatten für ihn nie ihre spirituelle Bedeutung verloren.
    Nur zu gern nutzte er diese frühe Stunde zum Nachdenken und zur
    Meditation.
    Er verließ die kleine Privatkapelle, ging hinüber zu seinem
    Schlafgemach und warf einen Blick auf den jüngsten Bericht seines
    Sicherheitschefs und Großinquisitors Kardinal Ciban. Dessen Bericht war so kurz und bündig wie immer, verschwendete keine Zeit und
    besagte schlichtweg, dass die laufenden Ermittlungen im Falle der
    Morde nach wie vor auf der Stelle traten, weshalb letztlich nur Seine
    Heiligkeit selbst diesen Zustand ändern könne.
    Mit nichts anderem hatte Leo gerechnet. Ciban nahm kein Blatt vor den
    Mund. Vor niemandem. Nicht einmal vor ihm, dem Papst.
    Leo holte tief Luft. Sollte Pater Darius tatsächlich Opfer eines Attentats geworden sein, so hatten sie es inzwischen mit drei Morden zu tun. Den
    allerersten hatte man noch für einen Unfall gehalten. Schwester Isabella Rodik aus Koblenz, eine begeisterte Autofahrerin, hatte im Frühjahr
    während einer Tour durch die Schweizer Alpen die Kontrolle über ihren
    VW Beetle verloren und war mehrere hundert Meter in den Tod gestürzt.
    Doch dann war drei Monate später Pater Sylvester André, ein
    ausdauernder Schwimmer, an der Côte d’Argent in Südwestfrankreich
    tot an Land gespült worden. Beide Ordensleute hatten einer ganz
    besonderen Elite angehört: der Kongregation Seiner Heiligkeit.
    Leo war von Kardinal Cibans Frage, ob es sich bei den Toten womöglich
    um zwei seiner Ratsmitglieder handeln könne, regelrecht überrumpelt
    worden. Einerseits hatte er den mentalen Kräfteverlust seit geraumer
    Zeit, wenn auch nur unterschwellig, gespürt. Andererseits hatte er dieses Gefühl verdrängt und weitergearbeitet, als wäre nichts geschehen. Jetzt, im Nachhinein, wurde ihm jedoch klar, weshalb es ihm in den letzten
    Monaten schwerer gefallen war, all die Informationen, die sich tagtäglich auf seinem Schreibtisch in den verschiedensten Sprachen ansammelten,
    aufzunehmen, zu
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