Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)

Titel: Luna Atra - Der schwarze Mond (German Edition)
Autoren: Melanie Vogltanz
Vom Netzwerk:
eleganten
und irgendwie erhabenen Erscheinung zu passen – war mehr als nur ein Haustier
für mich, sie war auch eine Freundin. Nur ihr gegenüber konnte ich offen über
meine Gedanken und Sorgen sprechen, nur ihr konnte ich in die Augen sehen und wissen,
dass sie mich niemals verletzen würde. Und die Intelligenz in ihrem wachen
Blick ließ mich keine Sekunde daran zweifeln, dass sie jedes Wort verstand, das
ich sagte.
    Menschen
waren da anders. Sie verstanden mich selten, und ich verstand sie ebenso wenig.
Wenn ich mich in der Vergangenheit einem anderen geöffnet hatte, so war ich
immer nur mit Schmerz und Verbitterung belohnt worden. Deshalb hatte ich mich
schon vor Jahren in mich selbst zurückgezogen, verbrachte meine Freizeit
alleine in meinem Zimmer oder bei einem ruhigen Spaziergang in abgelegenen
Wäldern, um meine Gedanken zu ordnen oder mich einfach treiben zu lassen. Dadurch
war ich noch einsamer geworden, denn meine Mitmenschen spürten die Ablehnung,
die ich ihnen voreingenommen entgegenbrachte, und reagierten ihrerseits
ebenfalls mit Zurückhaltung. Aber das war in Ordnung so. Wahre Freunde waren rar,
falsche waren überflüssig, selbst der Kontakt mit meinen Eltern erschien mir nur
als eine lästige Notwendigkeit.
    Isis
legte den Kopf schief, als würde sie meine Gedanken lesen und darüber urteilen.
Nicht zum ersten Mal musste ich gegen den Impuls kämpfen, ihre Käfigtür zu
öffnen und sie beim Fenster hinauszulassen, in die Freiheit, die sie verdiente.
Denn Freunde hält man nicht gefangen.
    Natürlich
tat ich es nicht. Schon einmal hatte Isis in Freiheit gelebt, und das hätte ihr
fast das Leben gekostet. Mein Vater hatte mir erzählt, dass er und meine Mutter
Isis auf dem Bürgersteig liegend gefunden hatten, vollkommen entkräftet und mit
zahllosen Wunden übersät. Aus Mitleid hatten sie das Tier mitgenommen und
gesund gepflegt. Das war noch vor meiner Geburt gewesen, also mittlerweile
mindestens achtzehn Jahre her, eine lange Zeit für einen Kanarienvogel. Obwohl
man es ihr nicht ansah, war Isis ein wahrer Methusalem unter Ihresgleichen.
    Ich
wandte den Blick von der Voliere ab und suchte das seidig glänzende Kleid auf
meinem Bett. Ein langer Seufzer glitt mir über die Lippen. Neben mir gab Isis
einen leisen, aber eindringlichen Ton von sich.
    Ich
wusste selbst nicht, warum ich überhaupt ein Kleid besorgt hatte. Im Grunde
genommen war mir von Anfang an klar gewesen, dass ich nicht auf den
Abschlussball gehen würde. Natürlich hatte ich keine Begleitung – nicht im
Traum wäre mir eingefallen, nach einer zu suchen –, und all dieser falsche
Glanz war nur dazu angetan, mir Brechreiz zu verursachen. Trotzdem hatte ich
gestern in einem Laden eine ansehnliche Stange Geld für dieses Stück Stoff
ausgegeben, einem merkwürdigen Weiber-Instinkt folgend, der jenem glich, der
Tiere ein Nest bauen ließ, wenn sie kurz davor standen, zu werfen. Derselbe
Instinkt jedoch hatte es verabsäumt, mich auch noch nach passenden Schuhen für
diesen Wahnsinn zu schicken …
    Ich
seufzte noch einmal und vergrub das Gesicht in den Händen. Wieder erwiderte
Isis mit einem hellen Pfiff.
    »Was
soll ich tun, meine Schöne?«, fragte ich durch meine Finger. »Soll ich das
wirklich über mich ergehen lassen? Was habe ich denn davon? Denke ich etwa,
dass ich ein paar Monate vor dem endgültigen Ende meiner Schulzeit noch ein
paar oberflächliche Freundschaften schließen werde? Bin ich denn verrückt?«
    Isis
spreizte die Flügel und gurrte, während sie von einem Fuß auf den anderen trat.
Sie wirkte merkwürdig unruhig.
    Ich
sah auf die Wanduhr, die mir verriet, dass ich mich schnell entscheiden musste.
In zwei Stunden würde der Horror seinen Anfang nehmen, und nach offiziellem
Einlass würden mich keine zehn Pferde mehr in diesen Ballsaal bringen.
    Mit
einem Ruck fuhr ich hoch und ballte die Fäuste. »Ach, der Teufel soll mich
holen«, murmelte ich und trat meine Hose von den Beinen. Mit beinahe wütenden
Bewegungen zog ich meinen übergroßen Pulli über den Kopf.
    Isis,
die sich nun so sehr aufplusterte, dass sie wie ein Golfball wirkte,
beobachtete mich aus riesengroßen Augen.
    »Ja,
du siehst richtig«, sagte ich. »Ich bin gerade dabei, den größten Fehler meines
Lebens zu begehen. Und irgendwie freue ich mich sogar darauf. Ich bin wirklich
nicht ganz dicht!«
    Es
dauerte länger, als ich gedacht hatte, mich in diesen grünen Albtraum von Kleid
zu zwängen, der mir gestern auf seltsame Weise
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher