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Lullaby (DE)

Lullaby (DE)

Titel: Lullaby (DE)
Autoren: Chuck Palahniuk
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»Maul halten, Arschloch.«
    Der alte Polizist, Sarge, setzt sich auf die Tischkante und schlägt die Beine übereinander. Er schnieft und wirft den Kopf zurück, als wolle er sich das Haar aus der Stirn werfen, und sagt: »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würden wir jetzt gern allein weitermachen.«
    Ich verdrehe die Augen.
    Der junge Polizist sagt: »Alles klar, Sarge.«
    Und Sarge nimmt ein Papiertuch und tupft sich die Augen.
    Plötzlich fährt der junge Polizist herum, packt mich am Kinn und rammt mich gegen die Wand. Mein Rücken, meine Beine an den kalten Beton gepresst. Der Polizist drückt mir den Kopf nach oben, nach hinten, hält mir den Hals zu und sagt: »Ich warne dich, mach bloß keinen Ärger!« Er brüllt: »Kapiert?«
    Und Sarge blickt mit schwachem Lächeln auf und sagt: »Ja. Du hast es gehört.« Und schnieft.
    Und der junge Polizist lässt meinen Hals los. Er geht zur Tür und sagt: »Ich bin draußen, falls was ist.«
    »Danke«, sagt Sarge. Er nimmt die Hand des jungen Polizisten, drückt sie und sagt: »Das ist sehr nett.«
    Und der junge Polizist reißt sich los und geht.
    Helen steckt in diesem Mann, wie die Saat des Fernsehens in einem steckt. Wie Trespe eine Landschaft überwuchert. Wie ein Lied einem nicht mehr aus dem Kopf geht. Wie Gespenster in Häusern umgehen. Wie Bakterien in deinem Körper. Wie Big Brother deine Aufmerksamkeit in Beschlag nimmt.
    Sarge, Helen, erhebt sich. Er fummelt an seinem Halfter und zieht die Pistole heraus. Er packt sie mit beiden Händen, richtet sie auf mich und sagt: »Jetzt nimm deine Kleider aus dem Sack und zieh dich an.« Schniefend schiebt er mir mit einem Fuß den Kleidersack hin und sagt: »Anziehen, verdammt.« Er sagt: »Ich bin hier, um dich zu retten.«
    Die Pistole zittert, und Sarge sagt: »Verschwinde, damit ich mir endlich einen runterholen kann.«

42
     
    Überall mischen sich Worte. Worte und Songtexte und Dialoge mischen sich zu einer Suppe, die eine Kettenreaktion auslösen könnte. Vielleicht sind die Werke Gottes nur die richtige Mischung aus dem gesendeten Müll der Medien. Die falschen Worte kollidieren und verursachen ein Erdbeben. Wie Regentänze Gewitter herbeiriefen, könnte die richtige Kombination von Wörtern Tornados herbeirufen. Zu viele Reklamejingles könnten die Ursache der globalen Erwärmung sein. Zu viele Wiederholungen im Fernsehen könnten Orkane entstehen lassen. Krebs. Aids.
    Im Taxi, auf dem Weg zu Helen Boyles Immobilienbüro, mischen sich vor meinen Augen Zeitungsschlagzeilen mit handgeschriebenen Schildern. An Telefonmasten geheftete Zettel mischen sich mit Postwurfsendungen. Die Lieder von Straßenmusikanten mischen sich mit Fahrstuhlmusik mit Geschwätz von Hausierern mit Radiodiskussionen.
    Wir leben in einem schwankenden Turm von Babel. In einer wackligen Realität aus Wörtern. In einer Suppe aus Katastrophen-DNA. Die natürliche Welt ist zerstört, und uns bleibt nur noch diese Rumpelkammer der Sprache.
    Big Brother haut auf die Pauke, und wir können nur noch zusehen. Knüppel und Steine brechen uns die Beine, aber uns bleibt nur noch die Rolle des willigen Publikums. Die Augen aufhalten und auf die nächste Katastrophe warten.
    Mein Arsch auf dem Taxisitz fühlt sich immer noch fettig und überdehnt an.
    Von dem Gedichtband sind noch dreiunddreißig Exemplare übrig. Die müssen wir finden. Wir müssen der Library of Congress einen Besuch abstatten. Wir müssen diesen Mist beseitigen und dafür sorgen, dass so etwas nie wieder geschieht.
    Wir müssen die Menschen warnen. Mein Leben ist vorbei. Das ist mein neues Leben.
    Das Taxi hält auf dem Parkplatz, und Mona steht mit einem riesigen Schlüsselbund vor der Haustür und schließt ab. Ganz kurz habe ich sie für Helen gehalten. Mona, das Haar zerzaust, nach hinten gekämmt, zu einem rotschwarzen Ballon toupiert. Sie trägt ein braunes Kostüm, aber nicht schokoladenbraun. Eher ist es das Braun einer Schoko-Haselnuss-Praline, in einem Luxushotel auf einem Satinkissen serviert.
    Zu Monas Füßen steht eine Schachtel. Auf der Schachtel liegt etwas Rotes, ein Buch. Das Grimoire.
    Ich gehe über den Parkplatz, und sie ruft: »Helen ist nicht da.«
    Im Polizeifunk sei von vielen Toten in einem Lokal an der Third Avenue die Rede gewesen, sagt Mona, und dass ich verhaftet worden sei. Sie legt die Schachtel in den Kofferraum ihres Wagens und sagt: »Sie haben Mrs. Boyle knapp verpasst. Sie ist gerade erst schluchzend aus dem Haus gelaufen.«
    Sarge.
    Helens
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