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Lullaby (DE)

Lullaby (DE)

Titel: Lullaby (DE)
Autoren: Chuck Palahniuk
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gebe ihnen einen Befehl. Apollo forderte sie auf, tapfer zu sein. Athene sagte ihnen, sie sollten sich verlieben.
    Heute hören die Leute eine Werbesendung für Sourcream-Kartoffelchips und rennen los, um das Zeug zu kaufen. Aber sie nennen das freien Willen.
    Die alten Griechen waren wenigstens ehrlich.
    Die Wahrheit ist da, selbst wenn du deiner Frau und deinem Kind abends etwas vorliest. Du liest ihnen ein Schlaflied vor. Und am nächsten Morgen wachst du zwar auf, aber deine Familie nicht. Du liegst im Bett, an deine Frau geschmiegt. Sie ist noch warm, atmet aber nicht. Deine Tochter schreit nicht. Im Haus herrscht bereits Hektik, Verkehrslärm und Gequatsche im Radio und das Rumpeln des Dampfs in den Heizungsrohren. Die Wahrheit ist, du kannst sogar diesen Tag für die Sekunden vergessen, die du brauchst, dir einen perfekten Krawattenknoten zu binden.
    So viel weiß ich. Das ist mein Leben.
    Du könntest wegziehen, aber das reicht nicht. Such dir ein Hobby. Vergrabe dich in deiner Arbeit. Ändere deinen Namen. Schustere irgendwas zusammen. Erschaffe Ordnung aus dem Chaos. Tu das jedes Mal, wenn dein Fuß einigermaßen abgeheilt ist und du das nötige Kleingeld hast. Organisiere jede Kleinigkeit.
    Therapeuten werden dir das nicht raten, aber es hilft.
    Als Nächstes klebt man die Türen in die Wände. Man klebt die Wände aufs Fundament. Man fügt die winzigen Bestandteile jedes einzelnen Schornsteins zusammen und lässt den Leim trocknen, während man das Dach errichtet. Man hängt die winzigen Regenrinnen an. Gewissenhaft jedes Detail. Man setzt die winzigen Dachfenster ein. Hängt die Fensterläden ein. Baut die Veranda. Sät den Rasen. Pflanzt die Bäume.
    Inhaliert den Geschmack von Orangen und Benzin. Den Geruch von Haarspray. Verliert sich in jeder Komplikation. Leimt ein Strähnchen Efeu an die Seite eines Schornsteins. Leimfäden ziehen sich zwischen den Fingern, die Fingerspitzen sind überkrustet und kleben aneinander.
    Du sagst dir, Lärm definiert Stille. Ohne Lärm wäre Schweigen nicht Gold. Lärm ist die Ausnahme. Denke an das Weltall, die unglaubliche Kälte und Stille, in der Frau und Kind auf dich warten. Ruhe, nicht der Himmel, wäre Lohn genug.
    Mit der Pinzette pflanzt man Blumen ums Haus.
    Rücken und Hals sind über den Tisch gebeugt. Du kneifst den Arsch zusammen und krümmst das Rückgrat, bis der Schmerz dir in die Schädelbasis kriecht.
    Du klebst die winzige Willkommen-Matte vor die Eingangstür. Du hängst die winzigen Lampen auf. Du klebst den Briefkasten neben die Haustür. Du klebst die winzig kleinen Milchflaschen auf die Stufen vorm Haus. Die winzige gefaltete Tageszeitung.
    Als alles perfekt und peinlich genau sitzt, muss es drei oder vier Uhr morgens sein, denn jetzt herrscht Ruhe. Der Fußboden, die Decke, die Wände: Alles ist still. Der Kompressor des Kühlschranks schaltet sich aus, und du hörst das Sirren des Fadens in jeder Glühbirne. Du könntest meine Uhr ticken hören. Eine Motte klopft ans Küchenfenster. Du kannst deinen Atem sehen, so kalt ist es im Zimmer.
    Du setzt die Batterien ein und legst einen kleinen Schalter um, und schon leuchtet es aus den winzigen Fenstern. Du stellst das Haus auf den Fußboden und machst das Licht in der Küche aus.
    Stehst im Dunkeln über dem Haus. Aus dieser Entfernung wirkt es perfekt. Perfekt, solide und heiter. Ein adrettes rotes Backsteinhaus. Die winzigen hellen Fenster beleuchten Rasen und Bäume. Die Vorhänge glühen. Gelb im Kinderzimmer. Blau in deinem Schlafzimmer.
    Um das große Ganze zu vergessen, muss man alles aus der Nähe betrachten. Das ist der Trick.
    Um eine Tür zu schließen, muss man sich in die Einzelheiten vertiefen. Das ist der Ausweg.
    So müssen wir uns an Gott wenden.
    Als wäre alles in Ordnung.
    Jetzt zieh den Schuh aus und stampfe mit dem nackten Fuß. Hör nicht auf zu stampfen. Egal wie weh das tut, die spröde splitternden Teile aus Plastik und Holz und Glas: Stampf weiter, bis der Nachbar unter dir mit der Faust an die Decke hämmert.

4
     
    Mein zweiter Gang in Sachen Krippentod führte mich in eine Betonsiedlung am Rand der Innenstadt; es war Nachmittag, das gestorbene Kind hing zusammengesunken in einem Hochstuhl, nebenan im Schlafzimmer heulte die Babysitterin. Der Hochstuhl stand in der Küche. In der Spüle stapelte sich schmutziges Geschirr.
    Wieder in der Redaktion, fragt mich Duncan: »Einzel- oder Doppelspüle?«
    Ein weiteres Detail zu Duncan ist, dass er eine feuchte Aussprache
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