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Luftkurmord

Luftkurmord

Titel: Luftkurmord
Autoren: Elke Pistor
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des
Katers.
    »Ich weiß.«
    »Willst du es ihm
nicht leichter machen?«
    »Er hat keine
Schmerzen.«
    »Aber so ist es kein
Zustand.« Steffen stand auf. Er schob beide Hände in die Taschen seiner Jeans
und starrte abwechselnd auf mich und den Kater in meinen Armen. »Du solltest
ihn erlösen.«
    Ich schluckte und
fühlte, wie es hinter meinen Augen brannte. Stumm schüttelte ich den Kopf.
    »Er kann nicht mehr
allein laufen, er frisst nur noch, was du ihm direkt vor die Nase hältst, und
auf sein Klo musst du ihn tragen.« Ich hörte das Mitleid in Steffens Stimme.
Mit dem Tier. Und mit mir.
    »Es dauert nicht
mehr lange«, flüsterte ich und merkte, wie mir nun doch eine Träne über die
Wange rann. »Er hat ein Recht darauf, es allein zu Ende zu bringen. Und ich
werde bei ihm sein.«
    Wieder dieser Knoten
in meiner Kehle. »Es tut ihm nichts weh«, murmelte ich. Das war mein Mantra.
Seit vor fünf Tagen die Tierärztin zuerst Hermann sehr lange und dann mich nur
kurz angesehen hatte, stand mir die Wahrheit zwar vor Augen, aber ich weigerte
mich immer noch, sie zu sehen.
    »In einer Stunde
fängt deine Schicht an. Was ist dann?«
    Ich zuckte mit den
Schultern und kraulte Hermann an der Stelle hinter seinem rechten Ohr, an der
er es so gerne hatte. Hermann war bei mir, seit ich dreißig Jahre und er vier
Tage alt gewesen war. Beinahe neunzehn Jahre lang. Er hatte meine Ehe
mitgemacht und meine Scheidung. Er hatte nie geschimpft, wenn ich mitten in
einem Fall steckte und nur zum Schlafen und Duschen nach Hause kam. Er war
sechsmal mit mir umgezogen. Zuletzt vor einem Dreivierteljahr von Köln hierher
in die Eifel, als ich mich entschieden hatte, der Stadt und der dortigen
Mordkommission den Rücken zu kehren und zu meinem Vater und meinem Bruder nach
Gemünd zu ziehen. Und zu Steffen.
    Es hatte eine Zeit
gedauert, bis ich mich dazu hatte durchringen können. Ein Grund für mein Zögern
war die Eifel selbst gewesen. Wollte ich wirklich wieder aufs Land ziehen?
Dorthin, von wo ich als junge Frau förmlich in die Stadt geflohen war? Schnee
schaufeln im Winter? Weite Entfernungen? Pampa?
    Den anderen Grund
hatte ich mir nur unwillig eingestanden: Steffens Alter. Mein neuer Freund war
acht Jahre jünger als ich, und ich hatte, obwohl ich es nicht offen zugeben
wollte, Schwierigkeiten mit dieser Tatsache. Aber die Ereignisse des letzten
Sommers, der Mordverdacht, der auf Steffen lastete, und mein Anteil an der
Aufklärung des Falles hatten mich davon überzeugt, es mit der Eifel, mit
Steffen und mit einem neuen Leben zu probieren. Versuchsweise. Die Wohnung in
Köln war immer noch nicht gekündigt, wenn auch mit einem Untermieter besetzt.
Meine Möbel standen in der Garage meines Vaters und brachten meinen Bruder zur
Weißglut. Ich wohnte abwechselnd im familiären Gästezimmer und bei Steffen. Auf
Dauer war das kein Zustand, aber ich tat mich schwer mit einer endgültigen
Entscheidung. Im Gegensatz zu Steffen. Er war im letzten Jahr zum Oberförster
oder, wie es offiziell hieß, »Forstoberinspektor« ernannt worden, glücklich mit
seinem Nationalparkbezirk auf der Dreiborner Hochfläche und freute sich seines
Lebens, in dem ich in seinen Augen einen wesentlichen Teil einnahm. Hermann war
ein Stück meines alten Lebens, das ich jetzt loslassen musste.
    »Du hast die ganze
Nacht kaum ein Auge zugemacht, Ina.«
    »Ich schaff das
schon.« Vorsichtig hob ich Hermann hoch, legte ihn in das Unterteil seiner
Transportkiste und klappte sie zu. Mit einem Klacken sprangen die Scharniere in
ihre Halterungen. Das Türchen schloss ich aus reiner Gewohnheit. Der Kater
würde nicht mehr weglaufen. Ich biss mir auf die Unterlippe und schlug die
Bettdecke zurück. Dann holte ich tief Luft und stand auf.
    »Ich habe heute
frei. Ich bleibe bei ihm«, sagte Steffen, drehte sich um und ging durch den
Flur in die Küche. Trotzdem hatte ich gesehen, wie er sich mit dem Handrücken
über die Augen gewischt hatte.
    »Danke.«
    Ich schlurfte durch
den Flur hinter Steffen her und lehnte mich gegen den Türrahmen. Die
Kaffeemaschine spuckte einen Caffè Latte aus und verstummte.
    »Judith kommt mich
gleich abholen«, sagte ich und seufzte. Die Glasscheibe in der Küchentür warf
ein unfreundliches Spiegelbild zu mir zurück. Meine blonden Haare standen in
alle Richtungen und waren definitiv zu lang, um noch als Frisur zu gelten. Bis
vor Kurzem hatte ich sie jeden Morgen mit Gel zum Igel gestachelt, aber das
gefiel mir nicht mehr. Dummerweise war
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