Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Luftkurmord

Luftkurmord

Titel: Luftkurmord
Autoren: Elke Pistor
Vom Netzwerk:
dauerte so lange. Knack. Sie schmeckte Blut.
    ***
    Der Tod ist
ekelhaft, dachte Kai Rokke Hornbläser und wandte sich ab. Er schluckte, kämpfte
gegen die Übelkeit und sah erneut hin. Der milchige Schimmer der Augen, der
Geruch nach modriger Fäulnis und das blasse Fleisch der offenen Wunde, an der
die Fische gefressen hatten, ließen keinen Zweifel. Der Körper musste einige
Zeit im Wasser gelegen haben. Das Gewebe am Kopf war aufgequollen und wirkte
unnatürlich vergrößert, der Leib aufgebläht.
    Er starrte auf den
Entenkadaver. Widerlich! Er schüttelte sich. Jemand musste das tote Tier
entsorgen, bevor in fünf Stunden die Regatta begann.
    Über dem Fluss lag
ein feiner Dunst. Gestern hatte es den ganzen Tag geregnet. Nicht heftig,
sondern in diesem feinen Nieseldunst, der sich auf alles legte und dessen
Feuchtigkeit langsam, aber stetig in das Gewebe der Kleider kroch und sich über
die Haut ausbreitete. Auch heute würde es nicht besser werden. Auf den weißen
Planendächern der Pavillons standen kleine Pfützen, die sich in unregelmäßigen
Abständen über den Rand ergossen und zu Boden platschten.
    Kai Rokke ignorierte
den Kadaver, so gut es ging, und runzelte die Stirn. Es würde schwierig werden.
Er war früh aufgestanden und hatte den Wohnmobilplatz am anderen Ende des
Kurparks verlassen. Die Betreiber nannten den Platz »Wohnmobilhafen«. Genau der
richtige Aufenthaltsort für ihn und seine »Lydia«. Er war hierhergefahren und
hatte sein Gefährt mühsam in einen der schmalen Parkplätze hinter der
Fußgängerzone rangiert, um ungestört diese Trainingsrunde absolvieren zu
können. Ohne die Kommentare, Ratschläge und Bemerkungen seiner Mitstreiter
ertragen zu müssen. »Hornblower«, so hatten sie ihn gestern sofort genannt,
nachdem er sich vorgestellt und die »Lydia« zu Wasser gelassen hatte. Wie
einfallsreich. Er hasste das. So wie er vieles hasste, nicht mochte oder
ablehnte. In feinen Abstufungen. Große Menschenmengen waren ihm zuwider. Laute
Musik verursachte bei ihm Übelkeit, aufgedrängte Gespräche Schweißausbrüche. Er
hasste Geschrei. Ebenso Hundebellen. Und Essen. Er verabscheute Fisch. Ekelte
sich vor Fleisch. Mochte kein Gemüse und kein Obst. Nur Nudeln gingen, wenn sie
aus Hartweizen waren und der Parmesan darauf nicht geschmolzen. Brot,
Marmelade, Kartoffeln. Alles Fehlanzeige.
    Als Kind hatte er
einmal einen Film über Tiertransporte gesehen und seitdem die Lust am Fleisch
verloren. Aber warum er auch die anderen Lebensmittel verweigerte, konnte weder
er, noch der Therapeut, den er irgendwann zurate gezogen hatte, erklären. Es
war ihm inzwischen auch egal. Er mochte es einfach nicht. Das war der Grund,
warum er seit Jahren nur mit dem Wohnmobil unterwegs war. Kein Hotel konnte ihn
als Gast ertragen. Und er kein Hotel.
    Er stand auf, trat
ein paar Schritte zurück und betrachtete das Schiff in seiner Halterung. Das
handgefertigte Modell war sein ganzer Stolz. Die sechsunddreißig Kanonen der
Fregatte, die Segel, sogar die Galionsfigur mit dem gespannten Bogen, alles war
maßgetreu verarbeitet und bis ins Detail nachempfunden. Über zwei Jahre hatte
ihn die »Lydia« in Beschlag genommen. So lange hatte er es bisher noch mit
keiner Frau ausgehalten. Kai Rokke wusste nicht, ob er diesen Umstand bedauern
oder begrüßen sollte. Sicher, er hätte gerne Kinder gehabt. Nicht, um mit ihnen
zusammen zu sein. Nur um sagen zu können, er habe eine Familie. Das gehörte
dazu. Irgendwie. Gab einem wie ihm den Anschein der Normalität. Er selbst
brauchte es nicht. Er brauchte niemanden. Kai Rokke Hornbläser war gerne
allein.
    Er wischte sich die
Hände an den Seiten seiner Jeans trocken, griff in das Innenfutter seines
langen schwarzen Mantels und nahm ein Päckchen Tabak heraus. Mit klammen Fingern
drehte er eine Zigarette, schob sie sich in den Mundwinkel und suchte dann mit
beiden Händen in den Taschen nach einem Feuerzeug.
    In dem Faltmäppchen
mit dem Werbeaufdruck des Gemünder Hotels Friedrich, das er schließlich in den
Tiefen entdeckte, befand sich nur noch ein einziges Streichholz. Er brach es
heraus und rieb den Schwefelkopf über die Zündfläche. Der Geruch von
Verbranntem stieg ihm in die Nase, ein kleiner Funke blitzte auf, aber es kam
keine Flamme.
    »Mist.« Er ließ die
Zigarette aus dem Mundwinkel in seine Handfläche fallen, stopfte sie in den
Tabaksbeutel und sah sich um. Die beiden einander im spitzen Winkel
gegenüberliegenden Brücken über die Urft und die Olef
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher