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Luegenbeichte

Luegenbeichte

Titel: Luegenbeichte
Autoren: Beate Doelling
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aus dem Toaster kam, drehte ihr fast den Magen um: alter, verbrannter Käse. Sie würde nichts runterkriegen.
    Wie spät es wohl war? Nirgendwo eine Uhr, nicht mal auf den Monitoren. Diese psychedelischen Bildschirmschoner machten sie verrückt, ganz zu schweigen von den Kreuzen an der Wand. Das mit dem gemarterten Jesus war am schlimmsten. Sie kam sich selbst vor, wie ans Kreuz genagelt. Noch kannst du Buße tun und wieder auf den rechten Weg kommen. Dafür musst du allerdings ein paar Lektionen lernen!
    Wofür sollte sie büßen?
    Was für Lektionen sollte sie lernen?
    War Robert »nur« fanatisch religiös wie seine letzte Pflegefamilie oder war er wirklich krank, geisteskrank?
    »Willst du Mayo oder Ketchup?« Er rückte sich die Kappe zurecht, dass der Schirm zur Seite stand wie ein verrenkter Schnabel. Jetzt konnte sie seine Augen sehen. Hellblau, ungetrübt, rein.
    »Mayo, bitte«, sagte sie. Ihre Stimme klang ihr selberfremd. Robert drehte sich um und nahm eine riesige gelbe Plastikflasche von der Spüle und stellte sie vor sie auf die Küchentheke. Ein dunkelbrauner Toast, aus dem geschmolzener Käse tropfte, stand auch schon vor ihr. Allein vom Anblick wurde ihr kotzübel.
    »Weißt du noch, wie wir uns früher immer Nudeln gekocht haben?«, fragte er. »Nudeln mit Tomatensoße. Und dann haben wir uns noch Mayo draufgetan.«
    Sie nickte. Er hatte noch diese langen, dunklen Wimpern. Unter den Augen war die Haut faltig, rot, auch aufgedunsen von seiner Schuppenflechte. Robert biss gierig in seinen Toast. »Und dann haben wir Vater, Mutter, Kind gespielt. Die Giraffe war das Kind.«
    Josi schluckte.
    »Ich war ein guter Vater«, sagte Robert mit vollem Mund. »Ich habe für die Familie gearbeitet. Ich habe die Familie beschützt. Ich habe mich um mein Kind gekümmert!« Plötzlich warf er den letzten Bissen weg, sprang auf, ging zu einem Stapel Kartons an der Wand, stellte den obersten auf den Boden, durchwühlte den zweiten, zog etwas heraus und pfefferte es auf die Küchentheke. Die Mayonnaise-Flasche fiel um. Vor Josi lag Gina, ihre Giraffe. Ein Ohr fehlte, das Fell war abgeschabt, man konnte kaum noch die Musterung sehen. Das eine Vorderbein hatte einen Zickzackknick und der Schwanz war abgerissen. Josi starrte Gina an, als wäre sie eine dicke, behaarte Spinne. Robert kam zu ihr, setzte sich neben sie, rückte näher und berührte sie mit dem Ellenbogen.
    »Na, erkennst du sie nicht mehr?«
    »Doch.«
    »Dann sag ihr Guten Tag!«
    »Guten Tag.«
    »Etwas netter, bitte!« Seine Stimme bohrte sich wie ein Korkenzieher in ihr Ohr.
    »Guten Tag!«
    »Kannst du sie nicht mit Namen ansprechen?«
    »Guten Tag, Gina. – Und jetzt hör auf mit dem Scheiß, Robert!« Josi war aufgestanden. Ihre Fäuste waren geballt. Wenn er sich jetzt regte, würde sie ihm voll eine in die Fresse donnern!
    Er fing an zu weinen. Wie auf Knopfdruck liefen Tränen aus seinen Augen. Er jammerte in hohem Ton, schluchzte wieder wie ein kleines Kind. Josi war wie gelähmt, die Fäuste immer noch geballt. Jetzt ganz ruhig bleiben, ihn bloß nicht reizen. Sie musste ihn klein halten.
    Robert legte den Kopf in den Nacken, verschränkte die Arme vor seinem Gesicht und wimmerte: »Ich habe es getan; ich will euch heben und tragen und erretten.«
    Dabei fiel im die Mütze vom Kopf. Josi erschrak. Er hatte kaum Haare! Nur ein feiner, schwarzer Schatten, wie von seinem Dreitagebart. – Dreitagebart, ging es ihr durch den Kopf. Vielleicht war der auch schon vier Tage alt? – Mittwoch – Dienstag – Montag – Sonntag, rechnete sie zurück. Oder auch schon fünf? – Samstag. Dann hätte er am Samstag eine Glatze gehabt. Wie schnell wuchsen Haare nach?
    Robert fuhr sich mit beiden Händen über den Kopf, als müsste er sich schützen.
    »Ich muss mich rasieren«, sagte er. »Ich muss mich rasieren!«
    Er drehte sich um und suchte etwas auf dem Tisch, wischte mit einer Handbewegung Blätter zur Seite und griff nach etwas. Josi nutzte die Sekunde und nahm den Teller weg. Der Toast flog auf den Boden. Sie hielt den Teller mit beiden Händen, bereit, ihn Robert auf den Kopf zu knallen, jetzt, wo er mit dem Rücken zu ihr stand, aber da richtete er sich auf und fuhr herum. Er hielt etwas in der Hand – ein Messer.
    Sie umklammerte den Teller, als wollte sie sich daran festhalten. Ihr Körper stand unter Strom. Sie sah, dass es sich bei dem Messer um ein Rasiermesser handelte, so ein altes, mit aufklappbarer Klinge, wie sie es noch aus
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