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Lucas

Lucas

Titel: Lucas
Autoren: Kevin Brooks
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Trinken . . . Aber plötzlich fiel mir eine unerwartete Bewegung auf und alle Gedanken verschwanden. Irgendjemand schwamm im Meer, ein Stück vom Point entfernt in Richtung Strand. Und schlagartig war mir bewusst, dass es dunkel wurde, dass mir kalt war und ich keine Ahnung hatte, wo Deefer steckte.
    »Deefer!«, rief ich und schaute in die Runde. »Hier bin ich. Komm her, Deef!«
    Ich wartete, lauschte auf das Klingeln seines Halsbandes, dann pfiff ich und rief wieder, aber es kam keine Antwort. Inzwischen hatte der Schwimmer den Strand fast erreicht. Ich beschirmte die Augen, um besser sehen zu können. Es war ein junger, blonder Mann mit schwarzer Schwimmbrille. Irgendetwas an ihm wirkte vage vertraut, aber das Licht war zu unscharf und ich konnte kein Gesicht erkennen. Wer immer es war, auf jeden Fall war er ein guter Schwimmer. Als er näher ans Ufer kam, konnte ich das gleichmäßige Klatschen seiner Hände hören, wie sie durchs Wasser schnitten. Klatsch . . . klatsch . . . klatsch . . . ein eigenartig gespenstischer Laut.
    Ich schaute wieder in die Runde und rief nach Deefer. Keine Antwort. Ich schaute in alle Richtungen – zurück den Strand entlang, über Binsen und die Salzwiesen, zum Watt. Nichts. Kein schwarzer Hund. Nicht das geringste Lebenszeichen. Nur ich und eine Gestalt mit dunkler Schwimmbrille, die mich etwas nervös machte. Jetzt watete sie aus dem Meer und kam knirschend die Kiesel hinauf direkt auf mich zu. Groß, muskulös, breitschultrig, nur mit einer engen Badehose und einer auffallenden Armbanduhr bekleidet. Ein dünnlippiges,spöttisches Grinsen kräuselte seinen Mund, und als er näher kam, sah ich, dass sein Körper mit einer Art Öl oder durchsichtigem Fett eingeschmiert war. Das Wasser kullerte in kleinen Regenbogenperlen von seiner Haut.
    »Na, wenn das nicht die kleine Caity McCann ist«, sagte er, nahm die Schwimmbrille ab und lächelte mich an. »Was für eine
angenehme
Überraschung.«
    »Oh   – Jamie«, sagte ich zögernd. »Was machst du denn hier?«
    Als er weiter auf mich zusteuerte, seine Badehose zurechtzog und sein komisches Grinsen grinste, wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Jamie Tait war der Sohn von Ivan Tait, einem reichen Geschäftsmann, der hier in der Gegend viel Land besaß und Parlamentsabgeordneter für Moulton-Ost war. Falls die Insel je so etwas wie eine Berühmtheit hervorgebracht hatte, musste das wohl Jamie sein – er war Kapitän des County Schools Junioren-Rugbyteams, war mit sechzehn englischer Schwimmchampion geworden und galt jetzt, in seinem zweiten Uni-Jahr, als aufsteigender Stern in Oxford.
    Jamie Tait war ein strahlender junger Held.
    Oder, wie Dad sagen würde, das größte kleine Arschloch der Insel.
    Er war ungefähr einen Meter vor mir stehen geblieben, schlug die Schwimmbrille gegen sein Bein, atmete schwer und betrachtete mich von oben bis unten.
    »Na, was meinst du, Cait?«, sagte er. »Hab ich’s immer noch drauf?«
    »Hast du was drauf?«
    Er schnippte sich die nassen Haare von den Augen. »DenStil, das Zeug . . . Ich hab doch gesehen, wie du mich beobachtet hast.«
    »Ich hab dich nicht
beobachtet
, ich hab nach meinem Hund geschaut.«
    »Na gut«, sagte er zwinkernd. »Kapiert.«
    Sein starrender Blick war mir unheimlich. Das blasse Stahlgrau, wie Androidenaugen, man konnte unmöglich sagen, was sich dahinter abspielte. Ich mochte die Art nicht, wie er dastand, die Art, wie er seinen Körper hielt. Zu dicht und doch nicht
zu
dicht. Dicht genug, um ein Wegschauen peinlich erscheinen zu lassen. Dicht genug, um etwas anzudeuten, zu sagen – schau, schau her, wie findest du es?
    Ich trat einen Schritt zurück, pfiff nach Deefer und ließ meine Augen über den Strand wandern. Er war immer noch nicht zu sehen. Als mein Blick wieder zurückkehrte, war Jamie nachgerückt und hatte seine beiden Daumen in die Badehose gehakt. Ich konnte das Öl auf seiner Haut riechen, es überdeckte etwas süßlich seinen Atem.
    »Ist Dom schon aus Liverpool zurück?«, fragte er.
    »Seit dem Nachmittag, er ist heute zurückgekommen. Macht es dir was aus   –«
    »Kommt er heute Abend rüber?«
    »Keine Ahnung. Ich denke, ich   –«
    »Was ist los, Cait? Schau dich an, du zitterst ja.« Er lächelte. »Ich würde dir gern was zum Anziehen geben, aber wie du siehst, kann ich dir nicht viel anbieten.« Sein Blick fiel an ihm herab und er lachte. »Das ist die Kälte, weißt du.«
    »Ich muss los«, sagte ich und wollte gehen. Mein
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