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Lovesong

Titel: Lovesong
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nachzeichnen.«
    Die Helden des Agit-Rock? Diese ganze selbstverliebte, verfickte Dekonstruktivistenkacke hat mich am Anfang echt total fertiggemacht. Wenn man mich fragt, so schreibe ich ganz einfach Songs: Akkorde und Rhythmen und Texte, Refrains und Bridges und Hooklines. Doch als wir dann bekannter wurden, begannen die Leute, unsere Songs zu analysieren, sie auseinanderzunehmen wie einen Frosch im Biologieunterricht, bis am Ende nichts mehr übrig war als Innereien – winzige Bruchstücke, die vom großen Ganzen nichts mehr erahnen ließen.
    Ich verdrehe unmerklich die Augen, aber Vanessa ist sowieso viel zu sehr in ihre Notizen vertieft. »Ich hab mir ein paar Bootlegs von eurem ganz frühen Material angehört. Alles ziemlich poppig, fast schon schmalzig im Vergleich. Und ich hab alles über euch gelesen, was jemals geschrieben wurde, jeden Post in jedem verdammten Blog, jeden Artikel in jedem einzelnen Fanzine. Und alle reden sie von diesem ›schwarzen Loch‹ in Bezug auf Shooting Star, aber keiner vermag es auch nur annähernd zu erklären. Ihr hattet eure kleineren Veröffentlichungen auf Indie-Labels; das lief ganz gut, aber ihr seid zielsicher auf was Größeres zugesteuert. Und dann kam der plötzliche Einbruch. Es gab Gerüchte, ihr hättet euch getrennt. Doch dann kamt ihr mit Collateral Damage raus. Zack bumm.« Vanessa macht mit der Faust eine Geste, so als würde etwas explodieren.
    Eine dramatische Geste, die zugegeben nicht ganz unberechtigt ist. Collateral Damage kam vor zwei Jahren raus, und schon einen Monat nach Veröffentlichung hatte die Single »Animate« die nationalen Charts gestürmt und wurde ein Riesenerfolg. Wir rissen sogar Witze darüber, dass man ja keine Stunde Radio hören könne, ohne davon belästigt zu werden. Und dann schoss auch noch »Bridge« in die Charts, und kurz danach schaffte das komplette Album es unter die besten Alben bei iTunes, woraufhin man es in jedem Wal-Mart im ganzen Land kaufen konnte. Tja, und dann vertrieb es doch tatsächlich Beyoncé von Platz eins der Billboard Charts. Eine Zeit lang schien es so, als hätte sich wirklich jeder zwischen zwölf und vierundzwanzig das Album auf seinen iPod geladen. Und innerhalb weniger Monate schaffte unsere Band es aus der Versenkung bis auf das Cover des Magazins Time , wir wurden dort sogar als »Nirvana des neuen Millenniums« angepriesen.
    Aber das ist ja alles nichts Neues. Es ist bereits über alles berichtet worden, wieder und wieder, bis zum Erbrechen haben sie darüber geschrieben, auch bei Shuffle. Ich habe echt keinen blassen Dunst, worauf Vanessa hinauswill. Ein Ober tritt an unseren Tisch, um unsere Bestellung aufzunehmen. Vanessa bestellt einen Salat. Und ich ein Bier.
    »Weißt du, die meisten scheinen den neuen, härteren Sound auf die Tatsache zurückzuführen, dass Collateral Damage von Gus Allen produziert wurde.«
    »Klar«, sage ich. »Gus ist ein echter Rocker.«
    Vanessa nimmt einen Schluck Wasser. Ich höre, wie ihr Zungenpiercing gegen das Glas klickt. »Aber Gus hat die Texte nicht geschrieben, und die sind ja die Grundlage für das ganze rockige Geschrammel. Du hast sie geschrieben. Diese ganze geballte Power und all die Gefühle. Mir kommt es fast so vor, als wäre Collateral Damage das wütendste Album der Dekade.«
    »Na ja, vor allem, wenn man sich überlegt, dass wir eigentlich vorhatten, das fröhlichste Album überhaupt zu schreiben.«
    Vanessa blickt zu mir auf und kräuselt die Stirn. »Ich hab das als Kompliment gemeint. Das Album hatte eine unglaubliche Wirkung auf eine ganze Menge Leute, mich eingeschlossen. Und genau das ist der Punkt. Alle sind sich einig darin, dass in eurer ›Schwarzes-Loch-Phase‹ irgendwas passiert sein muss. Irgendwann kommt es ja doch raus. Warum reden wir also nicht einfach darüber? Dann behalten wir die Kontrolle über den Informationsfluss. Also, auf wen bezieht sich der ›Kollateralschaden‹?«, fragt sie und zeichnet mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft. »Was ist mit euch passiert? Oder besser gesagt mit dir?«
    Der Kellner serviert Vanessas Salat. Ich bestelle noch ein zweites Bier und gehe nicht auf ihre Frage ein. Ich sage keinen Ton, halte einfach nur den Blick gesenkt. Denn in einem Punkt hat Vanessa tatsächlich recht. Wir kontrollieren den Informationsfluss. In der Anfangszeit hat man uns diese Frage immer wieder gestellt, aber wir gaben nie konkrete Antworten. Immer wieder spricht man uns darauf an, dass es eine Weile gedauert
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