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Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße

Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße

Titel: Louisiana-Trilogie 2 - Die noble Straße
Autoren: Gwen Bristow
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Fred einen schmerzenden Kloß im Hals. Es schmerzte ganz anders als der Schmerz in seinem Rücken und seinen Beinen. Er hob seinen Ärmel vor die Augen. Hoffentlich merkte es keiner. Er schämte sich; seit seiner Kindheit hatte er nicht mehr geweint. Als er seinen Arm wieder herunternahm, erblickte er Mr. Vance, der auch auf der Kante des Dammes saß. Er hatte die Knie unter sein Kinn gezogen, die Arme darum gefaltet und schaute hinaus, wie die Zerstörung weiter und weiter um sich fraß. Mr. Vance hob den Rücken seiner Hand zuerst zu einem Auge und dann zum anderen. Und auch Fred fühlte seine Augen wieder brennen. Verstohlen hob er den Arm.
    Mr. Vance wurde seiner ansichtig und schickte ihm ein komisch verzerrtes Lächeln hinüber. Er winkte und zog Fred neben sich auf den feuchten Boden herunter.
    »Wir erzählen's keiner vom anderen, nicht wahr, mein Junge?«
    Fred schüttelte den Kopf. Er traute sich nicht zu sprechen vor Angst, den Kloß nicht verschlucken zu können, der ihm noch immer in der Kehle brannte. Aber tröstlich war es, neben Mr. Vance zu sitzen und zu wissen, daß selbst ein großer barscher Mann wie er Tränen in die Augen bekam, wenn er mit ansehen mußte, was alles ein Dammbruch anrichtete.
    Das Wasser hatte nun die kleineren Bäume alle verschlungen; auf den höchsten Zweigen der größeren, die noch über das Wasser ragten, hockten Vögel aufgereiht, einer am anderen. Die Sonne schimmerte höhnisch blank in den zierlichen Wellchen, die der warme Wind übers Wasser tanzen ließ. Nur noch ein Hausdach hier und da oder ein Schornstein in dem gewaltig mahlenden See. Laut rufend feuerten die Männer vom Deich herab die Frauen an, die immer noch mit aller Macht ihre Boote herüberzurudern suchten. Im Wasser tanzten Tische und Stühle, tote Schweine, Matratzen und ertrunkene Kühe. Nach einer Weile faßte Fred sich endlich ein Herz und sprach:
    »Mr. Vance, warum baut man den Deich nicht so fest, daß er nicht brechen kann?«
    Mr. Vance ließ einen tiefen langen Seufzer hören. »Ich weiß es nicht, mein Sohn. Manche sagen, sie könnten es. Aber so wahr mir Gott helfe, ich weiß es nicht.«
    Ein Kuhkadaver trieb an ihrem Platz vorbei. Das Euter war noch prall voll Milch. Fred sagte: »Wenn ich erwachsen bin, dann möchte ich Deiche bauen, Deiche, die nicht zerbrechen, damit die Leute so etwas wie dies nicht zu erleben brauchen.«
    »Hölle und Teufel!« sagte Mr. Vance.
    Mr. Vance weinte nicht mehr. Wut und Erbitterung hatten ihn ergriffen. Fred dachte nicht daran, es ihm übelzunehmen. Was er selbst spürte, war nicht eigentlich Wut. Er fühlte sich geschlagen. Sie hatten sich fast alle zu Tode geschunden vor lauter Arbeit; und es war doch so vergeblich gewesen, als hätten sie keinen Finger krumm gemacht.
    Langsam sank die Nacht. Die Sonne tauchte hinter den westlichen Horizont. Der Tag verweilte noch einen Herzschlag lang in allerreinstem Licht. Jedwedes Ding stand deutlicher in ihm gezeichnet da als in der vollen Sonne. Dann wurde es mit einem Schlage dunkel.
    Die Leute auf dem Damm entzündeten ein Feuer. Es roch nach Kaffee. Die meisten Kähne hatten sich reichlich mit Proviant versehen. Man würde nicht zu hungern brauchen.
    »Wie lange werden wir hier aushalten müssen, Mr. Vance?« versuchte es Fred mit einer Erkundigung.
    »Was?« Mr. Vance hatte die Frage gar nicht aufgenommen; er wandte scharf den Kopf. Sein Sinn sowohl wie seine Augen waren auf nichts anderes gerichtet als auf die gelbe Vernichtung weit ringsum.
    Fred wiederholte seine Frage.
    »Einen Tag vielleicht oder zwei. Eine ganze Flotte von Booten ist von Staats wegen zur Hilfeleistung unterwegs. Wenn erst bekannt wird, daß hier der Damm gebrochen ist, so werden die Boote bald erscheinen. Ertrinken werden wir nicht. Höher, als es jetzt ist, wird das Wasser nicht steigen.«
    »Sie wissen wohl alles, Mr. Vance, was man über den Fluß wissen kann, wie?« Fred fragte es neiderfüllt.
    Einigermaßen finster erwiderte Mr. Vance: »Eigentlich sollte ich es wissen; habe mein ganzes Leben am Flusse gearbeitet. Aber ich glaube, was den Mississippi anbelangt, da lernt keiner richtig aus.«
    Fred spürte den sinnlosen Wunsch davonzulaufen. Er hatte von einem Dammbruch mehr als genug, solange er lebte. Trotz allem, was Mr. Vance gesagt hatte – ob es nicht doch einen Weg gab, die Dämme so fest zu errichten, daß sie niemals brachen?
    So saß der Knabe im Dunkeln; die Feuer glitzerten über das Wasser hin; die Flüchtlinge aus der
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