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Long Reach

Long Reach

Titel: Long Reach
Autoren: Peter Cocks
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bin hier irgendwie falsch«, meinte ich peinlich berührt. »Ich suche Tony Morris.«
    »Erwartet er dich?«
    »Glaub schon, ja.«
    Das Mädchen erhob sich vom Schreibtisch. »Ich bin Anna. Anna Moore.« Sie nahm meine Hand und ich schüttelte sie. Ihr Händedruck war überraschend fest. »Komm, hier lang.«
    Sie schritt zu einer weiteren Tür und tippte einen Code ein. Die Tür ging auf und sie führte mich hindurch, bevor sie wieder zu ihrem Tisch zurückkehrte und die Tür hinter mir schloss.
    Tony Morris’ Büro war klein und kaum bemerkenswert, bis auf die CDs, die aus den Regalen quollen und sich überall stapelten. An den Wänden hingen Poster von Bands, diees nie wirklich geschafft hatten, und auf einem Schild über Tonys Schreibtisch stand:
Tin Pan Alley Musikverlag.
    »Setz dich, Kumpel«, sagte Tony. »Kaffee?« Er füllte zwei schmuddelige Becher mit Wasser und Pulverkaffee und reichte mir einen davon, zusammen mit einem Zuckerpäckchen. »Milch ist leider sauer.«
    »Schon okay«, sagte ich. Ich ließ meinen Blick über die zugepflasterten Wände gleiten. »Was soll der Quatsch mit der Plattenfirma, Tony?«
    »Reine Fassade. Wie du dir sicher schon gedacht hast.«
    Hatte ich nicht, aber ich nickte trotzdem.
    »Fassade für was?«, fragte ich. »Ich dachte, du arbeitest auf einer Polizeiwache.«
    Tony lachte. »Was? ›Im Namen des Gesetzes, Sie sind verhaftet?‹«, fragte er mit übertriebener Fernsehbullenstimme. »›Zeigen Sie mal Ihren Ausweis‹, Gummiknüppel, die Schiene?«
    Ich zuckte die Achseln.
    »Okay«, sagte Tony, »eigentlich arbeite ich nicht direkt für die Polizei. Und Steve hat es auch nicht getan. Wir operieren irgendwo im Graubereich zwischen der Polizei und den etwas verdeckter arbeitenden Nachrichtendiensten der Regierung. Wir sind eine selbstständige Abteilung, die Informationen zusammenträgt.«
    »Was ist mit der Modellagentur nebenan? Dem Musikladen?«
    Tony legte einen Finger auf die Lippen. »Zu viele Fragen, Sohnemann. Alles zu seiner Zeit. Also, was hältst du von dem Zeug, das ich dir gegeben habe?«
    »Ich hatte keine Ahnung. Von der Medaille. Hat Mum   …?«
    Tony schüttelte den Kopf.
    »Was hat Steve gemacht?«, fragte ich. »Ich meine, um sie zu verdienen?«
    »Er hat eine Terrorzelle bei Willesden ausgehoben«, sagte Tony. »Die wollten die halbe Oxford Street in die Luft jagen. Hätte Tausende erwischt. Steve hat das quasi im Alleingang erledigt. Wir hatten in ihrem Häuserblock Gasalarm ausgelöst und er ist rein, als Angestellter der Gasfirma, und hat den Laden praktisch vor ihrer Nase verkabelt. Hat sich sogar in ihren Computer gehackt und den Sprengstoff unter der Spüle gefunden. Das braucht Nerven, wenn man direkt vor den Augen von drei Al-Qaida-Verdächtigen arbeiten muss. Steve war gut. Dann ist er wieder rein und hat sie ganz allein hochgenommen, bevor das bewaffnete Kommando hinterher ist und zwei von ihnen erschossen hat. Hochrisikostrategie. Hat wirklich seinen Arsch riskiert dafür.«
    Ich spürte, wie meine Brust vor Stolz anschwoll.
    »Hat die Queen ihm die Medaille überreicht?«, fragte ich lahm.
    »Steve konnte nicht zur offiziellen Verleihung durch Ihre Hoheit. Zu öffentlich. Das ist das Schwierige an dem Job. Den Ruhm kann man nicht einfahren. Man muss sich einfach damit zufriedengeben, dass man was Gutes gemacht hat. Noch nicht mal der eigenen Familie kann man es erzählen, weil jede Information sie in Gefahr bringen würde. Steve hat euch gegenüber nie viel rausgelassen, oder?«
    Hatte er nicht. Jetzt wünschte ich, ich hätte mehr nachgefragt.
    »Das ist ein Beruf für einen ungebundenen Mann, wie Steve   … oder einen Mann wie dich. Von dem niemand groß abhängig ist, kaum Verwandte und so.«
    Dass er mich als Mann bezeichnete, machte mich stolz. In der Schule hatten sie mich immer noch wie ein Kind behandelt.
    »Dann war James Boyle also sein Deckname für die Arbeit?«, fragte ich. Tony wirkte verblüfft.
    Ich zog die Mitgliedskarte des Harp Club heraus und legte sie vor ihn auf seinen Schreibtisch.
    »Wo hast du die her?«, fragte er fassungslos.
    »Aus einer von Steves Jacken.«
    »Bisschen unvorsichtig.« Tony seufzte. »Das war Teil des Problems. Steve wurde langsam etwas schlampig. Ich glaube, der Stress hat ihm zugesetzt.«
    Mir fiel ein, wie Steve erst vor ein paar Wochen in unserem Wohnzimmer gesessen hatte, gequalmt hatte wie ein Schlot, seine Nägel bis aufs Fleisch runtergekaut und Bierdosen geleert hatte. Zum
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