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Long Reach

Long Reach

Titel: Long Reach
Autoren: Peter Cocks
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wütend war ich auch. Wie hatte er mir das antun können   … und Mum?
     
    Im Leichenwagen fuhren wir zurück zur Wohnung. Dichter Regen trommelte auf das Autodach, unser Atem beschlug die Scheiben und schützte uns vor dem Gestarre aus den vorbeifahrenden Wagen. Auf dem Rücksitz hielt ich Mum eng an mich gedrückt. Auf einmal fühlte sie sich sehr klein an, als ob die Trauer und die Vorbereitung auf die Beerdigung sie hätte schrumpfen lassen. Mum hatte Sandwiches und Knabberzeug von Marks & Spencer besorgt. Sie sahen kein bisschen aus wie die aus der Werbung:
Mehr als nur ein Sandwich   – das M& S-Beerdigungs -Sandwich, komplett vertrocknet und von der Heizungsluft am Rand hübsch aufgerollt.
    Das schien jedoch niemanden abzuschrecken. Tony Morris und ein paar von Steves Kumpeln schlugen sich die Bäuche voll, öffneten ihre Bierdosen mit einem Zischen und lachten und redeten mit lauter Stimme, die ihre Trauer gut verbarg.
    Ich fühlte mich sehr allein.
    Außer mir gab es hier niemanden in meinem Alter. Eine Menge Leute hatten sich um Mum geschart und brachten die üblichen Sprüche, doch was man mit mir anfangen sollte, schien niemand zu wissen. Tony musste aufgefallen sein, wie ich so verloren rumstand und genervt vor mich hinstierte, und kam zu mir rüber.
    »Bierchen?«, fragte er und reichte mir eine Dose.
    Ich prostete ihm zu und nahm einen lauwarmen, metallischen Schluck. Tony trat nervös von einem Bein aufs andere.
    »Schon wieder in der Schule gewesen?«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf. Ein großer Fan unseres Erziehungssystems war ich nie gewesen und hatte schon mehr als genug Ärger mit der Schule gehabt. Ich ging nicht davon aus, dass mittelmäßige Leistungen an einer riesigen Südlondoner Gesamtschule mir das sechsstellige Gehalt eines Investmentfuzzis oder einen Abschluss in Raumfahrttechnik verschaffen würden. Ich wollte dort raus, so schnell es ging.
    »Tja, du hast eine ziemlich gute Entschuldigung, dich da erst mal etwas rar zu machen, würde ich meinen.«
    »Ich geh da nicht wieder hin«, erklärte ich.
    Letztes Jahr hatte ich endlich aufgehört mit der Rumhängerei, mich dahintergeklemmt und die Mittlere Reife gemacht. Um bei der Wahrheit zu bleiben: Rekorde hatte ich keine gebrochen, aber die Grundlagen hatte ich drauf. In Mathe und Englisch war ich nicht schlecht gewesen und in Literatur und Französisch hatte ich anständige Noten bekommen. Aber mein eigentliches Ding war Informations- und Kommunikationstechnologie. Alles Technische lief bei mir wie von selbst. Ich war an die Schule zurückgegangen, um darin mein Fachabi zu machen, aber jetzt nervte es mich nur noch an.
    Tony starrte auf seine Schuhe. »Sicher? So ein kluger Kerl wie du   …«
    »Ich hab’s satt, Tony«, sagte ich. »Das war kein gutes Jahr. Ich hab gedacht, ich such mir vielleicht einen Job.«
    Ich konnte fast zusehen, wie sich in Tonys Hirn die Zahnrädchen drehten.
    »Was denn für einen?«
    »Keine Ahnung. Irgendwas mit Computern vielleicht.«
    »Ich hab in den letzten Wochen über dich nachgedacht«, sagte Tony. »Wie alt bist du jetzt?«
    »Siebzehn«, gab ich zurück. Ich fühlte mich in die Ecke gedrängt. Worauf wollte er hinaus?
    Tony überlegte einen Moment. »Weißt du, ich hab da was von Steve, das ich dir zeigen wollte.« Er ging rüber zu einem Stuhl, auf dem seine Aktentasche lag, und zog einen wattierten Umschlag heraus. »Bitte sehr, Sohnemann. Zeig’s aber bitte keinem, ist immer noch etwas heikel. Schau es dir einfach an und sag mir dann, was du davon hältst.«
    Er nahm eine Visitenkarte aus seiner Tasche und reichte sie mir. »Wenn du fertig bist, ruf mich an.« Dann schloss er mich fest in die Arme, und als er mich wieder freigab, sah ich Tränen in seinen Augen.
    »Ich hätte da eventuell einen Job für dich«, sagte er.

Zwei
    Ich leerte den Umschlag auf dem Bett aus.
    Da gab es eine Urkunde und eine kleine Schachtel. Ich öffnete die Schachtel und darin lag eine Medaille, die so strahlte, als wäre sie erst gestern hergestellt worden. Sie war aus Silber, mit dem Kopf der Queen auf der einen Seite und einer Krone auf der anderen. Darunter standen die Worte
The Queen’s Gallantry Medal.
Eine Tapferkeitsmedaille? Ich faltete die Urkunde auseinander. Oben trug sie das königliche Siegel und darunter hieß es, dass die Medaille an Stephen Palmer verliehen worden sei »für außergewöhnlich tapfere Taten«.
    Mir stiegen die Tränen in die Augen.
    Tony hatte recht. Steve war ein Held
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