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London 1666

London 1666

Titel: London 1666
Autoren: Vampira VA
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die nach ihr griffen, sondern etwas, das hinter seinem Rücken hervorschnellte und sich durch ihre Augen in ihren Kopf hineinbohrte.
    Es machte dort weiter, wo Pepys aufgehört hatte, weil ihn die Natur der Barriere in Rubys Kopf den Verstand gekostet hatte.
    Wahnsinn und Tod lauerten dort. Auch für den Unbekannten, der kein Mensch sein konnte - und auch nicht dem ähnlich war, was Pe-pys verkörpert hatte.
    Ruby erfuhr es.
    Und noch viel mehr.
    Sie tauchte in die so lange verschlossen gehaltene Truhe voller Erinnerungen; eine Truhe, die alles beherbergte, was Ruby vergessen oder verleugnet hatte.
    Auch den Tag, an dem aus ihr das Pestmädchen geworden war .
    *
    13. Mai 1665
    Das Jahr, in dem die Pest begann
    Das Verderben kam plötzlich, ohne Warnung. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
    Und ein Blitz war es in der Tat.
    Die Wirklichkeit schien zu zerbersten in der kleinen Stube, die sich Ruby mit ihrer Mutter teilte. Ein Riß, der die Luft mitten im Zimmer spaltete. Und hinter dem sich, von gleißendem Licht umflort, etwas bewegte, hinübergriff wie aus einer anderen Welt.
    ZZZUUUWWW!
    Das Geräusch zerriß die Stille wie ein unirdischer Donnerschlag und dröhnte in den Ohren der beiden Frauen - die eine wohl Ende dreißig, die andere noch fast ein Kind. Doch darunter, kaum vernehmlich, lag noch ein zweiter Ton, wie die Stimme eines Menschen und gegen die Urgewalt des Donners kaum mehr als ein Hauch: »Verzeih Uruk...«
    Uruk ... Uruk ... Uruk ... hallte es in Rubys Ohren wider, während sie, betäubt von dem plötzlichen Geschehen, instinktiv zurückwich und ihre Hände gegen die Ohren preßte. Ihre Augen vermochte sie indes nicht zu schützen; geblendet starrte sie auf das Ding aus dem Nichts, das nun Anstalten machte, vollends aus dem Riß hervorzutreten.
    Doch erst als das Gleißen erlosch, konnte Ruby wirklich sehen, was nun wie ein gestaltgewordener Alptraum mitten im Raum hockte.
    Es war ein Anblick, dazu angetan, einen Menschen in den Wahnsinn zu treiben, und nur der Umstand, daß Ruby nicht begriff, was vorging, bewahrte sie vor diesem Schicksal. Noch ...
    Niemals zuvor hatte sie etwas Abstoßenderes gesehen. Es war ein Moloch mit schorfiger, lederner Haut, ungestalt und gleichzeitig doch geschmeidig in seinen Bewegungen, als er nun den Kopf drehte ... und Ruby anglotzte. Sein einziges Auge troff von Nässe. Eine kaum verheilte Narbe spaltete es in zwei ungleiche Teile. In der Pupille flackerte ein schwarzes Licht.
    Ruby hörte einen Schrei gellen, konnte im ersten Moment jedoch nicht zuordnen, woher er erklang. Noch immer war sie gefangen in einem Zustand seltsamer Gleichgültigkeit. Erst nach Sekunden, als das Wesen den Blick von ihr nahm, erkannte sie, daß es ihre Mutter war, die da schrie.
    Auch das Folgende entsetzte Ruby nicht in der Weise, wie es eigentlich hätte sein müssen.
    Der Zyklop fuhr herum. Einer seiner sehnigen Arme schnellte vor. Die vierfingrige Klaue an dessen Ende legte sich auf das Haupt der Frau - und deren Schrei verstummte wie abgeschnitten. Eine Weile lief noch ein Zucken durch ihren Leib, dann gab das Ungeheuer sie frei, und sie sank schlaff zu Boden.
    Panik und grenzenloses Entsetzen, gepaart mit Irrsinn, brodelte in Ruby. Hatte sie den Tod der Mutter miterlebt - des einzigen Menschen, der ihr etwas bedeutete, nachdem sie ihren Vater nie kennengelernt hatte?
    Doch noch bevor die Empfindungen ihren Verstand wirklich erreichen konnten .
    ... blickte der Moloch sie abermals mit seinem vernarbten Auge an.
    Und die Panik gefror. Wurde zurückgedrängt in einen verborgenen Winkel ihres Verstandes, zusammen mit all den anderen Gefühlen, die Schmerz und Verlust und Angst bedeuteten, und umhüllt mit einem dichten Mantel des Vergessens.
    Ruby sah dem Monstrum ruhig entgegen und rührte sich auch dann nicht, als es mit ungelenken und doch ungeheuer kraftvollen Bewegungen näherkam. Die Welt um sie herum reduzierte sich auf jenes Auge, in dem ihr Verstand zu versinken schien.
    Alles war gut. Sie hatte nichts zu befürchten ...
    Ruby spürte kaum, wie der Zyklop auch sie berührte. Nicht, um sie zu töten, sondern auf unmögliche Weise ... behutsam. Sie fühlte, wie sich eine der langen, gebogenen Krallen auf ihre Kehle setzte -und langsam über Hals und Brustbein nach unten glitt. Ein wohliges Schaudern ging damit einher.
    Das Gewebe ihres einfachen Leinenkleides wurde zertrennt wie Spinngeweb. Es löste sich von Rubys Schultern und fiel zu Boden.
    Nackt und schutzlos stand sie da,
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