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Löwenherz. Im Auftrag des Königs

Löwenherz. Im Auftrag des Königs

Titel: Löwenherz. Im Auftrag des Königs
Autoren: Richard Dübell
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Normannenschwein!«, tönte es halblaut, aber vernehmlich aus einem der Herbergsfenster.
    Der Fremde folgte dem Hütejungen, der auf allen vieren zu entkommen versuchte. Gelassen rollte er die Peitschenschnur für den nächsten Schlag ein.
    Edith war vollkommen klar, dass keiner von den Gästen dem Bauernjungen zu Hilfe kommen würde. Ohne zu zögern, drängelte sie sich durch die Menge, die sich vor dem Ausgang angesammelt hatte. Irgendwo in ihr rief eine Stimme: Was hast du vor? Aber Edith war so wütend, dass sie sich nicht zurückhalten konnte. Für einen Augenblick war ihr, als sähe sie nicht einen fremden normannischen Ritter vor sich, sondern Victor, und in der angstverzerrten Miene des Jungen erkannte sie ihren Bruder.
    Als sie beherzt zwischen den Ritter und sein Opfer trat, lag der Junge zitternd im Schlamm und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Die Peitsche hatte seine Tunika aufgerissen wie ein Schwert. Der Höllenhund stand breitbeinig über ihm und knurrte.
    Der Mann ließ die Peitsche sinken. »Verflucht!«, sagte er. »Wer zum Henker seid Ihr denn?«
    »Ich bin Edith de Kyme. Lasst den Jungen in Ruhe!«
    »Gehört er zu Euch?«
    »Nein, aber ich …«
    »Dann tretet beiseite, Lady de Kyme!« Aus seinem Mund klang diese Anrede fast wie eine Beleidigung. »Der Bursche hat meinen Hund vertrimmt und jetzt vertrimme ich ihn.«
    »Er hätte ihm den Garaus machen sollen«, hörte sich Edith zu ihrer eigenen Verwunderung sagen. »Wenn er Euch nicht folgt und Schaden anrichtet, muss er getötet werden.«
    Der Mann grinste unverschämt. »Ich hab ihn doch selbst losgelassen. Er brauchte Bewegung.«
    »Dann ist es sein Herr, der den Stock verdient.«
    Auf einmal herrschte ringsum Totenstille. Selbst der Hund hatte aufgehört zu knurren.
    Das linke Auge des Normannen zuckte. Scheinbar geistesabwesend begann er seine Peitsche aufzurollen.
    »Angelsächsisches Gör!«, flüsterte er. »Soll ich dir beweisen, wie gut mein Hund gehorcht? – Deable!«
    Edith kannte sehr wohl das normannische Wort für »Teufel«. Ein passender Name für dieses Monster , dachte sie.
    »Wenn Ihr nicht wollt, dass der Teufel Euren Köter holt, dann pfeift ihn zurück«, rief eine schrille Stimme.
    Edith wandte sich um. Robert stand in der Tür der Herberge, den Bogen gespannt. Sein Pfeil zielte auf den Hund.
    Der Normanne kniff die Augen zusammen. »Du triffst ja doch nicht, Junge«, sagte er, aber es klang zögernd.
    »Wollt Ihr’s drauf ankommen lassen?«, fragte Robert. »Und ich bin kein Junge, ich bin der Lord de Kyme.«
    »Ach, du Schande! Verheiraten sie euch jetzt schon in der Wiege?«
    »Sie ist meine Schwester!«, knurrte Robert.
    Edith stellte alarmiert fest, dass Roberts gestreckter Arm zu zittern begonnen hatte. Lange würde er die Sehne nicht mehr spannen können. Der Normanne sah es auch. Er grinste. »Gestattet mir, dass ich mich vorstelle, Mylord de Kyme …«
    »Ich gestatte Euch, dass Ihr Euren Hund zurückpfeift und Euch trollt!«, rief Robert. Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn. »Gleich fliegt mir der Pfeil weg, und dann könnt Ihr Euren Köter links und rechts festhalten, ohne dass Ihr eine Leine braucht, beim heiligen Andreas!«
    Von den Fenstern der Herberge her ertönte gedämpftes Lachen.
    Der Normanne schien einen Moment zu überlegen, dann zischte er halblaut: »Deable  – laissier!«
    Das Tier schüttelte sich und trottete sofort gehorsam an die Seite seines Herrn.
    Robert schwang den Bogen herum.
    »Was ist denn hier los?«, fragte eine neue Stimme auf Normannisch. Sie kam aus der Mitte einer Gruppe Fremder, die eben erst hinzugetreten waren und deren Kleidung dem Gewand des Hundebesitzers ähnelte. »Habt Ihr Ärger, Sire Guy?« Der Sprecher nahm seine Kapuze ab. Darunter war er barhäuptig, ein Mann mit grauem Bart und der traditionellen normannischen Frisur – lang über der Stirn und vom Nacken bis zum Scheitel beinahe kahl rasiert.
    »Der Ärger ist vorbei, sobald er eine Entschädigung für die getöteten Gänse gezahlt hat«, sagte Edith.
    Der Grauhaarige schien die Situation mit einem Blick zu erfassen. Um seinen Mund zuckte ein Lächeln. »Sind das Eure Gänse, Mylady?«
    »Nein.«
    »Und der junge Mann da, dem gleich vor Zorn eine Ader platzt – ist das Euer Ritter?«
    »Nein, mein Bruder.«
    Der Mann deutete eine Verbeugung an. »Lasst den Bogen sinken, Mylord«, sagte er spöttisch. »Sire Guy wird keinem von Euch beiden etwas antun, darauf habt Ihr mein Wort. Und sein
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