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Lösegeld Für Einen Toten

Lösegeld Für Einen Toten

Titel: Lösegeld Für Einen Toten
Autoren: Ellis Peters
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beizuwohnen, die Abt Radulfus für die Seelen all jener, die in Lincoln auf beiden Seiten gestorben waren, und zur Heilung von Englands offenen, schwärenden Wunden abhalten wollte. Ganz besonders wollte man für die unglücklichen Bewohner der Stadt im Norden beten, die eine leichte Beute der feindlichen Armeen geworden waren. Man hatte ihnen alles geraubt, was sie besaßen, vielen sogar das Leben, und viele waren in die Wildnis des winterlichen Landes geflohen. Jetzt wurde näher an Shropshire gekämpft als noch vor drei Jahren, denn man hatte einen Grafen von Chester zum Nachbarn, der sich vom Erfolg beflügelt fühlte und nach neuen Eroberungen gierte. Jede einzelne von Hughs ausgelaugten Garnisonen stand unter Waffen und war bereit, das bedrohte Land zu verteidigen.
    Nach der Messe, als Hugh im großen Hof mit dem Abt plauderte, entstand im Bogengang des Torhauses plötzlich Unruhe, und aus der Klostersiedlung kam eine kleine Prozession herein. Vier stämmige Landbewohner in selbstgewirkten Kleidern schritten energisch durchs Tor. Zwei hatten sich ihre Bogen so über die Schulter gelegt, daß sie jederzeit danach greifen konnten, einer trug eine Hippe auf der Schulter, und der vierte schwenkte eine langstielige Mistgabel.
    Zwischen ihnen ritt eine füllige Frau in mittleren Jahren, die die schwarze Tracht einer Benediktinernonne trug, auf einem schmächtigen Maultier. Die weißen Bänder ihrer Haube umrahmten ein rundes, rosiges Gesicht, gutgenährt und mit kräftigen Zügen, in dem hellbraune Augen strahlten. Sie trug Stiefel wie ein Mann und hatte die Tracht zum Reiten hochgerafft, doch als sie abstieg, löste sie das Gewand mit einer raschen Bewegung ihrer kräftigen Hand. Sie blieb wachsam und besonnen stehen und sah sich gelassen nach jemand um, der hier die Befehlsgewalt hatte.
    »Eine Schwester besucht uns«, sagte der Abt freundlich, während er sie interessiert betrachtete, »aber es ist keine, die ich kenne.«
    Bruder Cadfael, der auf dem Weg zum Garten und seinem Herbarium gemächlich den Hof durchquerte, hatte ebenfalls die plötzliche Unruhe am Tor bemerkt und beim Anblick der ihm offensichtlich vertrauten Gestalt einen Augenblick innegehalten. Er war dieser Dame schon einmal begegnet und fand sie durchaus erinnernswert. Und es schien, als erinnerte auch sie sich erfreut an die Begegnung, denn sobald ihr Blick auf ihn fiel und ein Funke des Wiedererkennens in ihren Augen aufflammte, schritt sie auf ihn zu. Er ging ihr entgegen und begrüßte sie freudig. Ihre stämmigen Leibwächter, zufrieden, sie sicher dort abgeliefert zu haben, wo sie hinwollte, standen gelassen auf dem Pflaster am Torhaus und waren anscheinend in keiner Weise von der Umgebung eingeschüchtert oder beeindruckt.
    »Ich dachte doch, daß ich diesen Gang kenne«, sagte die Dame befriedigt. »Ihr seid Bruder Cadfael, der einmal geschäftlich zu unserer Klause gekommen ist. Ich bin froh, Euch hier anzutreffen, denn ich kenne sonst niemand. Wollt Ihr mich Eurem Abt vorstellen?«
    »Sehr gern«, sagte Cadfael, »und tatsächlich beobachtet er Euch schon von der Ecke des Klosters aus. Es ist jetzt zwei Jahre her... Darf ich ihm sagen, daß er die Ehre hat, Schwester Avice zu empfangen?«
    »Schwester Magdalena«, entgegnete sie bescheiden und lächelte leicht, und so kurz und artig das Lächeln auch war, blitzte dabei doch das verschmitzte Grübchen, an das er sich erinnerte, wie ein Stern auf ihrer wettergegerbten Wange auf.
    Er hatte sich damals gefragt, ob sie bei ihrer Berufung als Braut Christi nicht besser dieses Lächeln hätte irgendwie ausmerzen sollen; vielleicht war es eben die stärkste Waffe in ihrem Arsenal. Unwillkürlich zwinkerte er ihr zu, und sie bemerkte es.
    Avice von Thornbury hatte eine verschwörerische Art, die jeden Mann glauben machte, er sei der einzige, dem sie vertraute.
    »Mein Auftrag«, begann sie sachlich, »gilt Hugh Beringar, denn wie ich hörte, ist Gilbert Prestcote nicht aus Lincoln zurückgekehrt. In der Vorstadt erfuhren wir, daß Hugh Beringar hier zu finden sei, sonst hätten wir erwartet, ihn oben auf der Burg zu treffen.«
    »Er ist da«, sagte Cadfael. »Gerade aus der Messe gekommen, und nun redet er mit Abt Radulfus. Dort hinten seht Ihr die beiden.«
    Sie blickte in die angegebene Richtung, und ihrem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, daß ihr gefiel, was sie sah. Abt Radulfus war überdurchschnittlich groß, aufrecht wie eine Lanze und sehnig, mit einem Adlergesicht und einem ruhigen,
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