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Lockende Versuchung

Lockende Versuchung

Titel: Lockende Versuchung
Autoren: Deborah Hale
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Worte wurde Edmund unvermittelt die Tragweite dessen klar, was er soeben im Begriff war auszuführen, und diese Erkenntnis traf ihn wie ein unerwarteter Schlag in die Magengrube. Julianna Ramsay wirkte in ihrem schlecht sitzenden schwarzen Gewand und den zum größten Teil unter einer wenig kleidsamen Haube versteckten wirren Locken unsagbar jung. Obwohl er kaum vierzig Jahre alt war, hatte er in seinem Leben mehr gesehen und erlebt als andere mit achtzig. Die abenteuerlichen Jahre in der Tropen hatten ihre Spuren an seiner körperlichen Verfassung hinterlassen, und im Augenblick wünschte sich Edmund angesichts seiner ungewissen Zukunft nichts dringlicher als in den bequemen Armstuhl seiner Bibliothek entfliehen zu können, zu einer Pfeife würzigen westindischen Tabaks und den vertrauten Werken von Shakespeare oder Marcus Aurelius.
    „Mit diesem Ring binde ich dich …“ Die Worte blieben ihm in der Kehle stecken, als er den schweren Goldreif über Juliannas eiskalten, starren Finger streifte, und nur mit Mühe konnte er den vorgeschriebenen Satz vollenden.
    Vor vielen Jahren hatte er sich geschworen, nie wieder zu heiraten. Die Ehe passte nicht zu seinem einzelgängerischen Wesen. Er und Amelia hatten einander während der nicht enden wollenden Monate ihrer kurzen Verbindung zutiefst unglücklich gemacht, doch nie hatte er sich einzureden versucht, Schuld daran habe allein seine kalte, ehrgeizige, viel zu früh verstorbene Gattin getragen. Welcher unsinnige Einfall hatte ihn nun nach all den Jahren an den Traualtar zurückgeführt?
    Verstohlen musterte er Julianna, die neben ihm kniete, um das Abendmahl zu empfangen. Das fahle Licht eines trüben Herbstmorgens fiel durch die Fenster der Apsis und hob die Zeichen von Schlägen in ihrem fein gezeichneten Gesicht deutlich hervor: ein bläulicher Striemen über ihrer Wange, dunkle Flecke am Kinn und eine geschwollene Unterlippe. Der Anblick dieses jungen, verletzlichen und offensichtlich brutal misshandelten Wesens an seiner Seite weckte den männlichen Beschützerinstinkt in ihm, und es zuckte ihm in der Hand, Jerome Skeldons feisten Nacken damit zu umschlingen. Wahrhaftig, um Julianna Ramsay aus den Fängen dieses Wüterichs zu befreien, war er sogar bereit, den Kopf erneut in die Schlinge des Ehestandes zu stecken.
    „Oh, Gott, der du das Sakrament der Ehe geheiligt hast, blicke gnädig auf diese deine frommen Diener.“
    Edmund holte tief Luft und reckte die Schulter. Wie auch immer, jetzt waren vollendete Tatsachen geschaffen worden. In diesem Augenblick hatte er die Verantwortung für Juliannas Sicherheit übernommen, und er würde ihr nun jede nur mögliche Bequemlichkeit verschaffen. Mehr konnte sie doch wohl kaum von ihm verlangen. Danach würde er zu seiner geruhsamen, wohlgeordneten Lebensweise zurückkehren und sich einreden, dass die beunruhigenden Ereignisse der vergangenen Tage niemals stattgefunden hatten.
    Als er sich erhob, um die Glückwünsche der kleinen Hochzeitsgesellschaft entgegenzunehmen, plagte ihn nur noch ein einziger Gedanke: ob wohl Crispin tatsächlich einverstanden sein würde …
    Jeromes Kutsche ratterte über das Kopfsteinpflaster der Piccadilly Street und brachte ihn, Julianna und Francis zum Hochzeitsmahl nach Fitzhugh House. Lässig in die Ecke des Polstersitzes gelehnt, zog er einen silbernen Flakon aus seiner Rocktasche, öffnete ihn und nahm einen großen Schluck daraus. Dann wischte Jerome den Rand betont sorgfältig ab und hielt die Flasche Julianna hin. „Wollt Ihr mir nicht Gesellschaft leisten, Mylady?“, fragte er mit beißendem Spott.
    Doch die junge Frau hob nur verächtlich die Brauen.
    „Ach so, du willst dir die Eindrücke dieses großen Tages natürlich nicht vernebeln“, stichelte Jerome. „So ist es doch, Schwester, nicht wahr?“
    Diese offene Verhöhnung versetzte Julianna einen schmerzhaften Stich und brachte ihr zugleich zu Bewusstsein, dass es außer ihr selbst niemanden gab, den sie für den Lauf der Dinge verantwortlich machen konnte.
    Inzwischen hatte Jerome das Flakon seinem Vetter angeboten. „Bist du vielleicht etwasgeselliger aufgelegt als deine Cousine, Underhill?“
    „Nein, nein“, wehrte Francis ab. „Ich beabsichtige, meinen Durst beim Hochzeitsmahl zu stillen. Juliannas Gemahl macht den Eindruck eines wahren Gentleman, und so fühle ich mich verpflichtet, seine Gastfreundlichkeit entsprechend zu würdigen.“
    Jerome hob gleichmütig die Schulter. „Ganz wie du willst.“ Dann nahm
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