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Liz Balfour

Liz Balfour

Titel: Liz Balfour
Autoren: Ich schreib dir sieben Jahre
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mir reden?«, fragte ich.
    Sie zögerte. »Nein, ich dachte nur, wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen. Zwei Jahre.«
    »Drei.«
    »Drei schon…« Sie klang verunsichert. »Wie dem auch sei, eine viel zu lange Zeit, und jetzt bin ich froh, dass du da bist.« Mit einem Lächeln drehte sie sich wieder zu mir.
    »Warum hast du mich nicht abgeholt?«
    »Oh …« Sie zögerte. »Ich bin eingeschlafen. Letzte Nacht habe ich nicht besonders gut geschlafen. Fast gar nicht. Es ist Vollmond.« Sie sah wirklich müde aus.
    »Wenn du dich noch mal hinlegen möchtest …«
    »Nein, nein, schon in Ordnung.«
    »Ich weiß mich schon zu beschäftigen.« Es hatte leicht und unbeschwert klingen sollen, aber ich war mir nicht sicher, ob es so bei ihr angekommen war. Bestimmt war sie gleich wieder gekränkt.
    »Ich kann doch jetzt nicht einfach schlafen, wenn du da bist.«

    »Nein, ich bestehe darauf. Leg dich hin, wenn du müde bist.«
    »Aber ich hab dich doch schon nicht abgeholt.«
    »Ich hab’s überlebt.«
    »Trotzdem.«
    »Ehrlich, du kannst ruhig schlafen.« Langsam wurde ich gereizt.
    »Nein, kann ich nicht.«
    »Bitte, tu es einfach. Es macht mir nichts aus.«
    Sie zögerte etwas, bevor sie sagte: »Wenn ich mich jetzt hinlege, sagst du nur wieder, ich würde mich nicht genug um dich kümmern.«
    »Das hat dich noch nie sonderlich interessiert.« Da, es war wieder passiert. Ich konnte einfach nicht anders. Ohne nachzudenken hatte ich diesen Satz gesagt, und kaum, dass ich ihn ausgesprochen hatte, wusste ich: Er machte alles zunichte. Ich ärgerte mich über mich selbst, aber dann ärgerte ich mich noch mehr über meine Mutter, weil sie darauf einging und wir wieder in dieselbe sinnlose, sich im Kreis drehende Diskussion einfielen, die wir seit Jahren führten:
    »Du willst doch wieder nur …«
    »Aber nein, du sagst doch immer …«
    »Ich hab noch nie …«
    Und keine von uns beiden wusste, was die andere wirklich dachte oder fühlte. Es war wie verhext.
     
    Bis zum Mittagessen blieb ich in meinem alten Kinderzimmer. Deirdre hatte sich nun doch überreden lassen, eine Weile auf der Couch zu ruhen. Danach wollte sie etwas kochen – es würde ein spätes Mittagessen werden,
wofür sie sich mehrfach entschuldigte. Ich untersuchte meinen Rollkoffer. Der Stoff war zwar durchnässt, aber den Kleidern, dem Laptop und den Unterlagen war nichts passiert. Ich blätterte durch ein paar Zeugenaussagen, um mich auf die Gerichtsverhandlung in der kommenden Woche vorzubereiten. Jemand versuchte, einen unserer Mandanten dazu zu zwingen, seine Kündigung zurückzunehmen. Schnell merkte ich, dass ich mich in dieser Umgebung nicht auf den Fall konzentrieren konnte. Sonst konnte ich überall problemlos arbeiten: in überfüllten U-Bahnen, in lauten Bars, selbst in langen Warteschlangen vor Supermarktkassen. Ich schaffte es sogar problemlos, zwischen zwei Gerichtsterminen die Akten zu einem dritten Fall durchzugehen. Aber hier ging nichts in meinen Kopf.
    Vielleicht war es die Stille, die mich irritierte. Obwohl es gar keine absolute Stille war. Ich hörte den Wind, der um Emerald Cottage toste, den Regen, der gegen das Fenster prasselte, die Wellen, die an den Klippen der Bucht brachen. Nach einer Weile stand ich auf und sah aus dem Fenster in das kaum unterscheidbare Grau von Meer und Himmel. Fröstelnd rieb ich meine Handflächen aneinander, dann glitt meine Hand nach unten auf der Suche nach dem Heizstrahler. Ich griff ins Leere. Früher hatte er immer hier gestanden. Es war eine unwillkürliche Bewegung, ein Gruß aus meiner Vergangenheit, und ich wunderte mich über mich selbst.
    In meinem alten Kinderzimmer gab es im Grunde nichts mehr von mir. Irgendwann hatten meine Eltern alle Kindermöbel weggegeben. Ich hatte ihnen, als ich vierzehn war, großzügig die Erlaubnis gegeben, alles Kinderspielzeug,
die Klebebildchen an den Schränken und Märchenposter an den Wänden restlos zu entfernen. Aus dem Kinderzimmer sollte schließlich ein Gästezimmer mit schmalem Polsterbett und einem noch schmaleren Kleiderschrank werden. Aber da meine Eltern außer mir nie Besuch bekamen, wurde daraus schnell ein Abstellzimmer, das meine Eltern während meiner Anwesenheit ausräumten. Nach einer Weile hatte sich das Zimmer in einen, wie Deirdre es nannte, Hauswirtschaftsraum verwandelt, wo gebügelt und genäht und gestopft wurde. Und kurz nachdem ich mit dem Studium angefangen hatte, begriff ich, dass mein altes Kinderzimmer ganz zu ihrem
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