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Live!

Live!

Titel: Live!
Autoren: Petros Markaris
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gut. Nur mein unrasiertes Gesicht paßt nicht ins Bild. Die morgendliche Rasur ist eine Art Ausweis. Sie bescheinigt, daß man ein leistungsfähiger Arbeitnehmer ist. Ein unrasiertes Gesicht hingegen läßt auf Krankheit, Rentnerdasein oder Arbeitslosigkeit schließen. In den beiden letzten Monaten gehörte ich zur zweiten Kategorie und rasierte mich nur alle drei Tage. Heute mache ich den ersten zögernden Versuch, in die erste Kategorie überzuwechseln. Deshalb ziehe ich mein Jackett aus und gehe ins Bad. Als ich fertig rasiert bin, ziehe ich das Jackett wieder an und lasse die Wörterbücher auf dem Bett verstreut liegen. Das ist eines der wenigen Privilegien, die mir Adriani nach meiner Verwundung zugestanden hat. Daß ich nichts aufräumen muß, selbst meine Lexika nicht, die sie haßt und über die sie sonst immer schimpfte, wenn ich sie einfach herumliegen ließ. Nun hält sie still, weil ich mich, ihrer Meinung nach, während meiner Genesung nicht überanstrengen darf. Trotzdem räume ich sie üblicherweise selbst beiseite, da Adriani sie völlig falsch ins Regal zurückstellt, als wolle sie sich auf ihre Art an den Büchern rächen.
    Sie sitzt am Küchentisch und putzt Zucchini. Mechanisch hebt sie den Kopf, in der Gewißheit, mich im Pyjama zu erblicken. Das Messer verharrt in der Luft und mit weit aufgerissenen Augen starrt sie auf die Erscheinung im Anzug, als sähe sie einen Geist aus der Vergangenheit.
    »Wo gehst du hin?«
    »Zeitungen holen.«
    »Und dafür hast du dich in den Anzug geworfen?«
    »Eigentlich müßte ich meine Paradeuniform anziehen, aber ich wollte nicht gleich übertreiben.«
    Sie versteht die Welt nicht mehr und wirft die Zucchini in den Mülleimer statt in die mit Wasser gefüllte Schüssel. Ich werfe rasch die Tür hinter mir ins Schloß, damit sie erst zu sich kommt, wenn ich schon draußen bin.
    Sowie ich aus dem Fahrstuhl trete, laufe ich Frau Prelati in die Arme. »Toi, toi, toi, Herr Charitos«, ruft sie begeistert. »Endlich sind Sie wieder der Polizeibeamte, den wir kennen.«
    Ich bin drauf und dran, ihr um den Hals zu fallen, mit allen absehbaren und unabsehbaren Folgen. Doch dann fällt mir ein, daß sich Adriani und die Prelati gegenseitig nicht leiden können. Daher könnte sie Adriani, die mich so lange nicht mehr allein außer Haus gehen ließ, meine Geste unter die Nase reiben.
    Mein Mißtrauen schmilzt dahin, als auch der Kioskbesitzer die Begeisterung der Prelati teilt. »Prächtig sehen Sie aus, Herr Kommissar, prächtig!« ruft er. »Zum ersten Mal seit langem machen Sie einen wirklich frischen Eindruck. Womit kann ich dienen?«
    »Mit Zeitungen.«
    »Welche ist denn heute dran?«
    Er fragt danach, weil ich jeden Tag eine andere kaufe, um Abwechslung zu haben und um mir selbst zu bestätigen, daß sie alle gleich langweilig sind. Ich bin mir noch nicht ganz schlüssig.
    »Alle, mit Ausnahme der Sportzeitungen.«
    Er starrt mich sprachlos an, doch sogleich hellt sich sein Gesicht auf. »Der Selbstmord, was?« meint er – hocherfreut, des Rätsels Lösung gefunden zu haben.
    »Ja. Wieso fragen Sie? Wissen Sie etwas darüber?«
    »Um Himmels willen, nein!« antwortet er mit dem ängstlichen Instinkt des Durchschnittsbürgers, der Scherereien aus dem Weg gehen möchte. »Aber aus dem zu schließen, was ich überflogen habe, haben auch die Zeitungen keinen Schimmer.«
    Er wünscht mir nochmals gute Besserung und stopft die Zeitungen in eine riesige Plastiktüte. Ich gehe die Aroni-Straße hinunter und gelange auf den kleinen Platz vor der Lazarus-Kirche. Dort liegt eine Kaffeestube, die zu einem Café umgestaltet wurde. Ich suche mir ein schattiges Tischchen aus und ziehe den Stapel Zeitungen aus der Plastiktüte. Der Kellner ist ein verdrießlich dreinblickender Fünfzigjähriger, der sich mit einem trockenen »Ich höre!« vor mir aufbaut. Ich bestelle einen süßen griechischen Mokka und handle mir dafür einen scheelen Blick ein, der einer stummen Beschimpfung gleichkommt, da ich das Café durch meine Bestellung wieder zu einer Kaffeestube degradiert habe.
    Alle Zeitungen bringen Favieros’ Selbstmord auf der Titelseite. Nur die Schlagzeilen unterscheiden sich. »Jason Favieros’ tragischer Freitod« und »Mysteriöser Selbstmord vor laufender Kamera« titeln die seriösen Blätter. Danach setzt der schrittweise Abstieg in die Gosse ein: von »Favieros’ spektakulärer Selbstmord« über »Exklusiv-Selbstmord« bis zu »Big brother live«. Alle Blätter haben
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