Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Live!

Live!

Titel: Live!
Autoren: Petros Markaris
Vom Netzwerk:
Kommissar. Wir Journalisten werfen, wenn wir kein Material haben, die Angel auf gut Glück ins Meer aus. Üblicherweise fördern wir Schuhe, Plastiktüten und anderen Müll zutage. Jedenfalls hat die Story, wie es aussieht, eine Lebensdauer von höchstens einem weiteren Tag, weil wir nichts zu schreiben haben.«
    Ich danke ihm, und er meint lachend, er erwarte mich mit allergrößter Sehnsucht zurück.
    Adriani hört mich nicht, als ich nach Hause komme, denn sie unterhält sich mit meiner Tochter Katerina am Telefon.
    »Aber verstehst du denn nicht, er ist seit drei Stunden unterwegs!« sagt sie. Offenbar spricht sie über mich, daher nehme ich mir das Recht zum Lauschangriff.
    »Drei Stunden, begreifst du das, Katerina?« Ihre Stimme ist voller Besorgnis. »Ohne mir zu sagen, wo er hingeht. Er ist einfach zur Tür raus.« Sie hält inne, um Katerina zuzuhören, dann fährt sie genervt fort: »Was ihm passieren soll? Vielleicht wurde ihm schwindelig, er ist ohnmächtig geworden, und man hat ihn ins Krankenhaus gebracht! Wie habe ich ihn bekniet, sich ein Handy zuzulegen, aber davon will er nichts hören.« Diesmal wird die Kunstpause ärgerlich abgebrochen. »Na klar, ich bin schuld! Ich erdrücke ihn mit meiner Fürsorge und lasse ihm keinen Freiraum!« Sie ist in Rage geraten, und wenn Adriani in Rage gerät, dann kommt man nicht mehr gegen sie an. »Fanis, Fanis! Fanis ist nicht den ganzen Tag hier, um zu sehen, wie ich einen Menschen, der dem Tod von der Schippe gesprungen ist, wieder auf die Beine helfe! Normalerweise müßte ich jetzt die Polizei informieren, drei Stunden ist er weg, und ich weiß nicht, wo er ist!«
    »Hier bin ich«, sage ich und tauche in der Tür auf.
    Sie ist überrascht, da sie mein Kommen nicht gehört hat, und Erleichterung macht sich auf ihrem Gesicht breit. »Da ist er ja, dein Papa, auf den du so lange gewartet hast«, sagt sie mit der kaltschnäuzigsten Miene der Welt zu Katerina und übergibt mir den Hörer. »Deine Tochter.«
    »Wie geht’s, mein Mädchen?«
    »Mir geht’s gut. Mama aber nicht. Sie meint, daß du sie zum Wahnsinn treibst«, lacht sie.
    »Ich weiß. Sie wird sich schon wieder fangen.«
    Es folgt eine kleine Pause. »Darf ich davon ausgehen, daß das gestrige Gespräch mit Fanis Früchte getragen hat?« fragt sie erleichtert.
    »Ja. Und der Selbstmord.«
    »Welcher Selbstmord?«
    »Der von Favieros. Gestern abend im Fernsehen. Plötzlich hat es bei mir klick gemacht.«
    Sie lacht. »Makaber, aber ein Schock ist oft heilsam.« Dann wird sie ernst. »Sie tut es aus Liebe. Drum verfall bloß nicht ins andere Extrem«, sagt sie.
    »Keine Sorge. Wir werden unsere Alltagsroutine schon wiederfinden.«
    Wir tauschen telefonisch Küßchen aus und legen auf. Adriani ist in die Küche gegangen, um das Essen aufzuwärmen. Bevor ich ihr folge, mache ich kurz im Schlafzimmer halt und nehme Apostolidis’ Wörterbuch sämtlicher Begriffe bei Hippokrates zur Hand, das Katerina mir geschenkt hatte, als ich im Krankenhaus lag.
    Ich lasse es beim Lemma gesunden aufgeschlagen und trete in die Küche. Der Tisch ist gedeckt und das Essen fertig. Gekochte Zucchini – diejenigen, die sie am Morgen geputzt hat – und drei Hackfleischbuletten für jeden. Ich trete mit dem Lexikon an sie heran und lese den Eintrag laut vor: Gesunden = genesen, seine frühere Kraft zurückgewinnen; (selt.) heilsam sein, frommen.
    »Zitat Hippokrates: Einige der durch die Medizin Behandelten gesunden«, sage ich. »Und ich gehöre offensichtlich zu diesen Auserwählten. Ich fühle mich sogar so gesund, daß ich daran denke, meinen Genesungsurlaub abzubrechen und in den Dienst zurückzukehren.«
    »Mein lieber Kostas, um Himmels willen, laß uns keine übereilten Entschlüsse fassen!« Einerseits beschwört sie mich voller Angst, andererseits ruft sie mir in Erinnerung, daß wir gemeinsam entscheiden – und nicht ich allein. »Im Endeffekt zahlst du doch ein Vermögen an Krankenkassenbeiträgen. Und jetzt hast du die Gelegenheit, dir etwas von dem zurückzuholen, was sie dir seit Jahren aus der Tasche ziehen. Willst du ihnen das vielleicht schenken?«
    Sie lächelt triumphierend, denn sie hat das wohl einleuchtendste Argument aufgefahren. Denn wer in Griechenland nicht überzeugt ist, daß ihm der Staat nur das Geld aus der Tasche zieht und sich dadurch nicht zur Revanche genötigt fühlt, ist entweder meschugge oder dämlich.

5
    N ach der Flucht aus unserer Wohnung – bei der ich es den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher