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Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: Cory Doctorow
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Musik aus den riesigen Art Cars hinter der Menge. Dubstep biss sich mit Funk, Punk und Electroswing, sogar einen Gospel glaubte ich zu hören, doch es war alles kaum unterscheidbar. Die Menge schrie, und ich schrie mit. Brennendes Papier stieg von der heißen Luft getragen in den Wüstenhimmel auf. Der Rauch erschwerte das Atmen, und von allen Seiten pressten sich tanzende Körper an meinen. Ich kam mir vor wie Teil eines großen Organismus mit Tausenden von Beinen, Augen, Kehlen und Stimmen, und die hellen Flammen leckten immer höher.
    Bald war die Bibliothek nur noch ein Skelett aus tiefschwarzen Balken, in feuriges Orange und Rot getaucht. Schon schwankte sie, das Dach erzitterte, die Säulen schaukelten hin und her. Jedes Mal, wenn es schien, als würde das Gebäude gleich kollabieren, hielt die Menge den Atem an, und jedes Mal, wenn es sich doch wieder fing, stießen wir ein enttäuschtes »Aah« aus.
    Dann gab eine der Säulen nach und brach entzwei, wobei sie ein Stück des Dachs mit hinabriss. Dadurch verloren die nächsten Säulen ihren Halt, sie fielen ebenfalls, und dann stürzte das ganze Ding mit einem gewaltigen Krachen in sich zusammen und sandte dabei eine letzte Wolke brennenden Papiers empor. Die Rangers zogen sich zurück, wir traten näher an das brennende Wrack und umstanden den prasselnden Haufen aus Bauholz, Papier und Asche. Auch die Art Cars fuhren etwas näher heran, die Musik wurde lauter, und gelegentlich ging in der Glut noch ein vergessener Feuerwerkskörper hoch. Es war ein glorreicher Moment. Es war völlig verrückt.
    Dann war es vorbei, und wir mussten uns auf den Weg machen.
    »Lass uns gehen«, sagte ich zu Ange. Sie hatte es mit Fassung aufgenommen, als ich ihr von Masha erzählte hatte, doch wie erwartet hatte sie erklärt, dass sie mich auf gar keinen Fall allein zu dem Treffen gehen lassen würde.
    »Genau das hab ich ihr auch schon gesagt«, hatte ich erwidert, und da hatte sie sich auf die Zehenspitzen gestellt und mir den Kopf getätschelt. »Braver Junge.«
    Wir schlängelten uns durch die tanzende, lachende Menge, durch Wolken von Rauch, Haschisch, Schweiß, Patschuli (Ange liebte den Geruch, ich hasste ihn), Asche und Wüstenstaub. Es dauerte eine Weile, bis wir die Menschen und die Art Cars alle hinter uns gelassen hatten. Es war ein regelrechter Stau, der sich da gebildet hatte: Hunderte Mutantenautos standen wild durcheinander. Ein gespenstisches, haushohes Piratenschiff (auf Rädern) lag direkt neben einem Panzer, der einen 1959er Chevrolet samt Passagieren am Ende eines drei Meter hohen Krans balancierte, und einem schaukelnden elektrischen Elefanten mit zehn großäugigen Verrückten in einer Sänfte auf dem Rücken. Erschwert wurde die Situation noch durch einen Exodus von Wüstenrädern, deren johlende Fahrer, ausgestattet mit antiken Fliegerbrillen, sorglos in die Nacht davonschossen, wobei sie einen Kometenschweif bunter LED s, Leuchtstäbe und Elektrolumineszenz-Kabel hinter sich herzogen.
    EL -Kabel waren das unverzichtbare Modeaccessoire beim Burning Man. Sie waren günstig, batteriebetrieben und in allen Farben erhältlich. Man konnte sie sich ins Haar flechten, an die Kleidung kleben oder an sich runterhängen lassen. Ange hatte sich blinkende Leuchtkabel in allen Farben durch ihre Patronengurte gefädelt. Ein längerer Strang lief auch von ihrer Kapuze den gesamten Saum ihrer Robe entlang, sodass sie von fern wie eine Bleistiftzeichnung ihrer selbst aussah. Mein Kabelsortiment hatte ich umsonst gekriegt, indem ich die weggeworfenen Reste anderer Leute gesammelt und in mühseliger Kleinarbeit repariert hatte. Ich benutzte sie vor allem als Schnürsenkel für meine Armeestiefel, den Rest hatte ich mir um den Gürtel gewickelt. Wir waren also gut sichtbar im Dunkeln – und trotzdem hätten uns ein paar Räder beinahe erwischt. Natürlich nicht aus Absicht. Die Fahrer, die sich höflich bei uns entschuldigten, waren einfach abgelenkt gewesen; »abgelenkt« war hier draußen der Normalzustand.
    Je tiefer wir in die Wüste vorstießen, desto mehr dünnte sich die Menge aus. Die Grenzen von Black Rock City werden stets durch den Abfallzaun markiert, jenseits dessen irgendwann die Berge beginnen. Dieser Zaun fängt alles Unerwünschte auf, das aus den Camps geweht wird. Dort kann man es später einsammeln und mitnehmen – keine Spuren und so. Zwischen dem Zentrum von Black Rock City und Zaun liegen zwei Meilen offene Ebene, beinahe konturenlos, nur hier und da
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