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Lisa

Lisa

Titel: Lisa
Autoren: Thomas Glavinic
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Sechzigern und Siebzigern, da wurden im Jahr vierhundert Filme gemacht, und gar so viele Nieten waren nicht dabei.
    Moment, das passt noch immer nicht. Gehts jetzt? Okay.
    Klar, auch damals gab es Trash, aber damals war der Trash nicht so trashig wie heute. All das bringen sie nicht mehr. Allenfalls gibt es am Nachmittag einen Bud Spencer und Terence Hill. Die linke und die rechte Hand des Teufels ist ja wirklich genial, den könnt ihr euch immer wieder ansehen.
    Ich merke mir keine Titel und frage mich gerade, ob das überhaupt der ist, in dem Terence Hill, der müde Joe, am Anfang seine Bohnen frisst. Er isst sie nämlich nicht, er frisst sie. Das ist eine Szene, die ihr nicht vergesst. Ich kenne keinen, der sie gesehen hat und nicht spitze findet.
    Moment, das stimmt heute nicht. Ich hoffe, mich hört heute überhaupt jemand.
    So.
    Man will mitessen, versteht ihr? Man will diese Bohnen essen. Ich habe mir mehr als einmal Bohnen machen müssen, während der Film gelaufen ist.
    Hätte ich jetzt Lust auf Bohnen mit Speck! Und dazuBrot und Rotwein. Komisch, normalerweise habe ich in diesem Zustand keinerlei Appetit.
    Das ist ein Film, wie sie heute selten gedreht werden.
    Es traut sich niemand etwas. Tarantino hat gesagt, vor nichts hat er so große Angst wie davor, jenseits der vierzig nur noch Filme zu machen, die keine Eier haben. Wenn ihr den Fernseher einschaltet oder ins Kino geht, wisst ihr, was er meint. Fast alle machen Filme ohne Eier.
    Ich bin kein Freund von Vulgaritäten, aber solche Dinge brauchen klare Worte, gerade weil sonst alle nur um den heißen Brei herumreden. Na was denn … Pah, ich muss seit heute früh husten.
    Ist doch wahr. Alle haben Angst zu scheitern, und niemand hat etwas zu sagen. Alle sind nichts und haben Angst. So könnte man unsere Zeit auf den Punkt bringen. Alle sind nichts. Alle wollen etwas sein. Und alle haben Angst, Angst, Angst, Angst, Angst, Angst, Angst. So viel Angst hätten wir nicht einmal, wenn Krieg wäre. Dann ist es eben soweit. Dann wird das Leben gefeiert, solange wir es haben, dann wird gevögelt, während die Bomben fallen. Ich weiß, wovon ich rede, ich war einmal dabei, als die Bomben fielen. Einmal nur, aber das hat gereicht. Sarajevo, wir haben im Kaffeehaus Schach gespielt, und es war, als würde die Welt untergehen. Die Serben haben mit allem, was sie hatten, auf die Stadt hinuntergeschossen, bis zum Abend. In der ersten Stunde der Feuerpause waren alle noch im Schock, doch dann sind sie durchgedreht, und jeder wurde plötzlich intim und lebensgierig wie nie zuvor.
    Am Tag darauf bin ich weg. Noch heute zucke ich bei jedem Feuerwerk zusammen, obwohl das ganz anders klingt als Haubitzen und Granaten.
    Dieses Bild, auf dem Karadži ć Geige spielt, rings um ihn die serbischen Geschütze, im Tal hinter ihm Sarajevo, das dürfte ungefähr zu der Zeit aufgenommen worden sein.
    Dass sie diesen Mistkerl doch noch erwischt haben. Doktor Dabić. So viel Unrecht ist damals geschehen, so viele Leute wurden getötet, dann wird eine Konferenz abgehalten, und die Sache ist erledigt. Vier, fünf Leute von jeder Seite werden ins Gefängnis gesteckt, und damit ist der Krieg vorbei. Niemand ist schuldig. Ausgenommen ein paar Einzelne.
    Das könnte man Folgewahnsinn nennen. Wahnsinn ist es sowieso, was uns im Westen dazu eingefallen ist. Gerechtigkeit für Serbien? Was für eine Schändlichkeit. So viele Mörder, und den Obermörder fährt der Kerl besuchen und geht zuletzt auch noch auf sein Begräbnis.
    Gut. Damit wäre das auch geklärt.
    …
    Übrigens habe ich mich immer gefragt, ob unser Phantom in dieser Zeit auf dem Balkan oder in Ruanda Leute umgebracht hat, weil es da nicht so aufgefallen wäre. Vermutlich ist es ihr aber egal, ob sie auffällt.
    …
    Die französischen Filme aus den Siebzigern sind auch nicht zu verachten. Die Zeit davor war eher was für meinen Vater. Ich hatte ziemliche Zweifel an Gregory Peck und Marilyn Monroe. Ohne dass ich erklären könnte, was mich an der Blondine gestört hat. Ich finde, heute laufen in jeder zweiten Straße Frauen herum, die besser aussehen.
    Na stimmts nicht? Die Figur war nicht das Problem. Dass die ein bisschen drall war, finde ich gut, Frauen müssen nicht aussehen wie Heuschrecken, die sollen genießen können,auf welchem Gebiet auch immer. Ich wollte immer schon gut leben und Leben um mich haben. Lebendige Leute. Leute, die gern essen und trinken und ficken, und dazwischen sollen sie Bücher lesen und Filme
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