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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)
Autoren: Warlam Schalamow
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flott, weil du die materielle Basis hast – wieviel bekommst du für langjährige Dienste?‹
    Er hat recht, aber ich unterbreche den Sekretär und sage: ich bitte um die volle Rehabilitierung ohne Unterbrechung der Mitgliedschaft.
    Der Gebietssekretär sagt plötzlich: ›Was machst du solchen Druck? Was ereiferst du dich? Deine Hände sind doch bis zu den Ellbogen voller Blut!‹
    In meinem Kopf begann es zu rauschen. ›Und Ihre‹, sage ich, ›Ihre sind nicht voller Blut?‹
    Der Gebietssekretär sagt: ›Wir waren nicht hier.‹
    ›Und dort‹, sage ich, ›wo Sie waren im Jahr siebenunddreißig – dort sind sie nicht voller Blut?‹
    Der Erste Sekretär sagt: ›Genug geschwatzt. Wir können die Abstimmung wiederholen. Geh raus.‹
    Ich ging auf den Korridor, und sie verkündeten mir ihren Beschluß: ›Wiederaufnahme in die Partei abgelehnt.‹
    Ich habe mich in Moskau ein halbes Jahr eingesetzt. Sie haben den Beschluß aufgehoben. Aber nur diese, die allererste Formulierung angenommen: ›Wiederaufnahme nach unterbrochener Mitgliedschaft.‹
    Der, der meine Sache im Komitee der Parteikontrolle vorgetragen hat, sagte, ich hätte nicht schimpfen dürfen im Gebietskomitee.
    Ich bemühe mich dauernd, ziehe vor Gericht, fahre nach Moskau und versuche etwas zu erreichen. Trink!«
    »Ich trinke nicht.«
    »Das ist kein Rum, das ist Kognak. Mit fünf Sternen. Für dich.«
    »Nimm die Flasche weg.«
    »Du hast recht, ich tue sie weg, bringe sie weg, nehme sie mit. Nimms mir nicht krumm.«
    »Ich nehme es dir nicht krumm.«
    Ein Jahr verging, und ich bekam von dem Antiquar einen letzten Brief. »Während meiner Abwesenheit von Leningrad ist plötzlich meine Frau gestorben. Nach einem halben Jahr kam ich zurück und fand den Grabhügel, das Kreuz und ein Amateurphoto – sie im Sarg. Verurteile mich nicht für meine Schwäche, ich bin ein vernünftiger Mensch, aber ich kann nichts machen – ich lebe wie im Traum und habe das Interesse am Leben verloren.
    Ich weiß, das geht vorbei – aber es braucht Zeit. Was hat sie im Leben gesehen? Den Weg durch die Gefängnisse nach Auskünften, für Übergaben? Die Verachtung durch die Gesellschaft, die Fahrt zu mir nach Magadan, – ein Leben in Armut und jetzt das Finale. Verzeih, ich schreibe Dir später mehr. Ja, ich bin gesund, aber ist die Gesellschaft gesund, in der ich lebe?
    Gruß.«
    1956

Lend-Lease
    Die frischen Traktorspuren im Sumpf waren Spuren eines prähistorischen Tiers – alles andere, nur keine Lieferung amerikanischer Lend-Lease-Technik.
    Wir Häftlinge hatten von diesen Geschenken aus Übersee gehört, die die Gemüter der Lagerleitung in Wallung brachten. Um die getragenen Strickanzüge, die Pullover und Westen aus zweiter Hand, jenseits des Ozeans für die Kolyma-Häftlinge gesammelt, lieferten sich die Magadaner Generalsgattinnen beinahe Prügeleien. In den Aufstellungen liefen diese wollenen Schätze unter der Formel »aus zweiter Hand«, was natürlich viel ausdrucksvoller war als das Adjektiv »gebraucht« oder alle möglichen Altkl. – »Altkleider«, als die sie das Lagerohr kennt. »Aus zweiter Hand« hatte eine geheimnisvolle Unbestimmtheit – als hätte jemand den Anzug in der Hand gehabt oder zu Hause im Schrank, und plötzlich ist er »aus zweiter Hand«, ohne auch nur eine seiner zahlreichen Qualitäten eingebüßt zu haben, an die nicht einmal zu denken war, hätte man im Dokument das Wort »gebraucht« verwendet.
    Die Lend-Lease-Wurst war keineswegs aus zweiter Hand, aber wir sahen diese märchenhaften Konserven nur von fern. Lend-Lease-Schweinefleisch, die bauchigen Büchsen – dieses Gericht kannten wir gut. Das nach einer sehr komplizierten Substitutionstabelle berechnete und abgemessene Büchsenfleisch, von den gierigen Händen der Leitung gestohlen und noch einmal neu berechnet, noch einmal bemessen, bevor es in den Kessel kam und dort zerkocht wurde, sich in geheimnisvolle Fasern verwandelte, die an alles mögliche erinnerten, nur nicht an Fleisch – das Lend-Lease-Büchsenfleisch erregte nur unser Auge, nicht den Geschmackssinn. Lend-Lease-Büchsenfleisch, in den Lagerkessel gesteckt, hatte keinerlei Geschmack. Die Mägen der Lagerhäftlinge zogen Einheimisches vor – wie faules altes Rentierfleisch, das auch in sieben Lagerkesseln nicht zerkocht. Rentierfleisch verschwindet nicht, wird nicht ephemer wie das Büchsenfleisch.
    Lend-Lease-Hafergrütze – die billigten wir, aßen wir. Sowieso kam nicht mehr heraus als zwei
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