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Lilly Höschen (01): Walpurgismord

Lilly Höschen (01): Walpurgismord

Titel: Lilly Höschen (01): Walpurgismord
Autoren: Helmut Exner
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dieser Wahnsinnige vielleicht gemeint hat, dass sie verbrannt werden soll wie eine Hexe?«
    Amadeus fing an zu schluchzen.
    »Entschuldige, Amadeus. Aber wir müssen jetzt unseren Verstand zusammennehmen. Wenn er bei der Polizei in Verwahrung ist, kann er doch sowieso nichts machen. Es sei denn, er hat irgendwelche Vorkehrungen getroffen. Irgend etwas, was um Mitternacht automatisch geschieht.«
    Um viertel nach elf hielt Amadeus es nicht mehr aus. Er rief wieder den Kommissar an und wurde abermals enttäuscht. Keine Spur von Marie.
    Auf dem Bergfestplatz in Lautenthal herrschte ein buntes Treiben. Überall sah man Menschen mit bemalten Gesichtern, mit Teufelshörnern oder Masken. Als Hexen verkleidete Frauen mit Besen. Musik, Trommeln, Fackeln. Und natürlich Alkohol und Grillspezialitäten. Man ließ es sich gutgehen und hatte seinen Spaß. Die Kinder, die ihre Eltern begleiten durften, gruselten sich herrlich. Die Polizei war ein paar Mal vorbeigefahren. Jetzt kam ein Suchtrupp, der von Gisela Berger geleitet wurde. Ein Dutzend Polizisten, darunter zwei mit Hunden, marschierte mit Lampen in den nahe gelegenen Wald. Wer noch nüchtern war, schaute interessiert, was sich da abspielte. Einige Leute fragten bestürzt, was denn los sei. Gisela erklärte einer Gruppe von Schaulustigen, dass man eine junge Frau suche.
    In der Mitte des Platzes befand sich der große Scheiterhaufen. Er war ein paar Meter hoch. Lauter aufgestapelte Hecke, Baumschnitt, etliche Weihnachtsbaumskelette. Pünktlich um Mitternacht sollte er angezündet werden. Die Freiwillige Feuerwehr stand bereit, das Abbrennen zu überwachen.
    Mitten in diesem Scheiterhaufen, gut verdeckt von Zweigen und trockenen Tannenbäumen, erwachte Marie aus tiefem Schlaf. Selbst wenn sie nicht so eingeschnürt gewesen wäre, hätte sie sich nicht bewegen können. Die Spritze, die der Mann ihr verabreicht hatte, tat noch immer ihre Wirkung. Sie hätte gern gerufen. Aber die Stimme wollte ihr nicht gehorchen. Sie war wie gelähmt. Sie vernahm die Stimmen, die Musik und das Trommeln und sah gelegentlich einen Lichterschein. Aber sie war unfähig, sich bemerkbar zu machen. Und sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo sie sich eigentlich befand.
    Zwanzig Minuten vor Mitternacht sprang Lilly plötzlich von ihrem Stuhl auf und rief:
    »Ja, sind wir denn alle verrückt geworden? Es ist doch völlig klar.«
    Eddy, der im Sessel eingenickt war, sprang erschrocken auf und sagte: »Ja, um Himmels Wille, Lilly, bisch jetze übergschnabbt?«
    Manfred Wiebe und Amadeus sahen sich an und fragten gleichzeitig: »Was ist völlig klar?«
    »Sie ist da, wo Hexen hingehören. Und um Mitternacht wird sich alles regeln. Ist doch klar, dass er sie in irgendeinem Scheiterhaufen versteckt hat.«
    Dann griff Lilly das Telefon, wählte die Nummer des Kommissars, der sofort dran war und rief, ohne ihren Namen zu nennen, in den Hörer: »Herr Kommissar, haben Sie sämtliche Scheiterhaufen auseinandergenommen?«
    Dann die verdutzte Antwort: »Äh, Fräulein Höschen, nein.«
    »Na, dann machen Sie hin, beeilen Sie sich, avanti, zack zack. Rufen Sie sofort überall an, dass man sämtliche Scheiterhaufen auseinandernimmt, bevor es zu spät ist. Es ist gleich Mitternacht.«
    Dann legte sie auf, und Lilly griff im Flur nach ihrer Jacke. Amadeus rannte die Treppe herunter, Manfred Wiebe hinter ihm her. Innerhalb kürzester Zeit saßen die drei in Manfreds Wagen. Eddy, der so schnell nicht mithalten konnte, stand ganz verdattert in der Einfahrt und sah nur noch, wie das Auto verschwand.
    Das bunte Treiben auf dem Bergfestplatz hatte bald seinen Höhepunkt erreicht. Es war jetzt acht Minuten vor Mitternacht. Zwei Jugendliche standen bereits mit ihren Fackeln am Scheiterhaufen und warteten sehnsüchtig, dass die letzten Minuten auch noch vergehen. Da kam ein Auto um die Ecke geschossen. Manfred drückte auf die Hupe. Einige Leute waren verärgert. Was hatte hier so ein verrückter Autofahrer in dieser Menschenansammlung zu suchen? Eine als Hexe verkleidete Frau schlug ihren Besen auf den Wagen und ein Feuerwehrmann versuchte, die Durchfahrt zu blockieren. Schließlich musste er beiseite springen, um nicht umgefahren zu werden. Unbeirrt fuhr Manfred weiter und machte erst zwei Meter vor dem Scheiterhaufen Halt.
    Die beiden Männer springen aus dem Wagen, Lilly hinterher, und rennen zum Scheiterhaufen. Wie drei Wildgewordene reißen sie Stück für Stück von dem Brenngut weg, Zweige, kleine Bäume,
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