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LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)

LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)

Titel: LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)
Autoren: John Everson
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verlangen.
    Nicht nur ihr Hintern war mehr als perfekt. Bei ihr saß jeder Ton, und das fand Evan womöglich noch anziehender als ihren makellosen Körper. Umspielt von den sanften Wogen der Brandung sang sie eine klagende, nicht näher definierbare Melodie, die ihm durch und durch ging und zugleich einen Schauder über den Rücken jagte. Er kam sich vor, als habe er Fieber. Es drängte ihn, zu ihr zu stürzen, sie in die Arme zu nehmen – und zwar nicht bloß, weil sie so schön war. Ihr Gesang löste einen wahren Sturzbach an Gefühlen in ihm aus. Kurzum: Ihr Lied brachte in seinem Inneren etwas zum Schwingen.
    Die Töne schraubten sich hoch ans nächtliche Sternenzelt, dann sanken sie nieder, und angesichts der Wucht der Melodie zog Evan vernehmlich die Luft ein.
    Abrupt verstummte das Lied. Innerhalb eines Herzschlags sprang die Frau auf und wandte den Kopf. Als ihr Blick sich auf die Stelle richtete, an der Evan stand, kniff sie die Augen zusammen. Ohne sich noch einmal nach ihm umzudrehen, stieg sie plötzlich auf einen zerklüfteten Felsen und tauchte mit einem Hechtsprung in das Wasser wenige Meter unter ihren Füßen.
    Evan erhaschte einen flüchtigen Blick auf ein Paar strahlend dunkle Augen und volle, zu einem Schmollmund gespitzte Lippen, umrahmt von einem Gewirr langer, dunkler Locken; ihr Haar fiel ihr im Stehen bis halb über den Rücken. Überdies erahnte er eine Andeutung sanft geschwungener Brüste, und nach den fünf Sekunden, die sie brauchte, um sich umzuwenden, ihn anzusehen und ins Wasser zu springen, schien sein Gürtel auf einmal merklich enger zu sitzen.
    Der Zauber des Augenblicks war gebrochen, und nun spurtete auch Evan los, rannte über die offene Fläche des Aussichtsfelsens. Es war gefährlich, allein in der Bucht schwimmen zu gehen, erst recht bei Nacht. Er blickte hinaus über die sanft auf und ab wogenden Gischtkämme, konnte die Frau jedoch nirgends entdecken.
    »Miss?«, rief er nach einem Moment. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.« Als sie nicht an der Oberfläche auftauchte, fuhr er fort: »Kommen Sie ans Ufer zurück. Bei Nacht ist es hier draußen gefährlich.«
    Die einzige Antwort bestand im Rauschen der Wellen, die Gull’s Point umspülten, an den Strand brandeten und wieder zurücktosten. Er blieb dort, rief nach der geheimnisvollen Frau, erhielt jedoch keine Antwort. Während die Minuten verstrichen, wurde ihm klar, dass sie womöglich nie mehr zurückkehrte. Wieder und wieder fragte er sich, weshalb sie denn einfach so gesprungen war. Was, wenn sie mit dem Kopf gegen einen Felsen unter Wasser geschlagen war? Oder wenn sie nicht schwimmen konnte, so wie er? Vielleicht tauchte sie deshalb nicht mehr auf. Allmählich begann Evan zu glauben, dass er, ohne es zu wollen, zum Tod dieser Frau beigetragen hatte.
    Auf der Wasseroberfläche erschien keine Frau mehr, lediglich schäumende Wellenkämme.
    Irgendwann kämpfte er sich von der Spitze des Felsstreifens zurück zum Strand. Sein eigener Versuch, Selbstmord zu begehen, war vergessen. Oder doch wenigstens vorübergehend auf Eis gelegt. Den eigenen Tod zu planen, war eine Sache, aber zuzusehen, wie jemand anders sich das Leben nahm – sie war nämlich nicht mehr ans Ufer zurückgekehrt –, das drehte Evan den Magen um. Er lief durch den Sand auf seiner eigenen Fußspur zurück. Dabei hatte er ständig das Bild der Frau vor Augen, wie sie in den Wogen verschwand.
    Er betete darum, dass es ihr gut ging, aber so recht daran glauben mochte er nicht.

5
    Auf dem Schild an der alten Holztür stand »Dr. med. Vicky Blanchard«, doch für Evan schien etwas völlig anderes darauf zu stehen. Er las es als »Dr. Blanchard, Irrenärztin«.
    Er drückte die Klinke der Eingangstür herunter und betrat das enge Wartezimmer des zweckentfremdeten viktorianischen Gebäudes. Früher einmal hatte dieser Raum wahrscheinlich als formeller Salon gedient, in dem Liebende beisammensaßen und sich unter Aufsicht ihrer Mütter oder Anstandsdamen gestelzt miteinander unterhalten durften. Evan konnte sich den Widerspruch zwischen dem koketten Flirt, den die Paare eigentlich führen wollten, und der förmlichen Konversation, die ihnen aufgezwungen wurde, um ihre Gefühle zu verbergen, gut vorstellen. Die reinste Folterkammer …
    Heute nutzte Delilahs einzige Psychiaterin den einstigen Kontakthof als Wartezimmer. Dafür war der Raum ursprünglich nicht konzipiert gewesen und darum eindeutig gemütlicher als in anderen Arztpraxen. In der Regel
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