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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit
Autoren: A Forna
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ein, zählt bis drei und geht dann den Korridor entlang ins Freie.
    Er überquert den Innenhof auf dem Weg zu seinem Sprechzimmer, die Sonne knallt ihm senkrecht auf den Scheitel. Der Innenhof ist nicht mehr als ein Quadrat vergilbten Grases, das von zwei sich kreuzenden Fußwegen in Dreiecke geteilt wird. Jedes Dreieck ist mit Beton gesäumt und enthält eine einzelne Bank aus Beton. Noch nie hat Adrian jemanden dort sitzen sehen. Wer auch immer den Hof entwarf, stellte sich vermutlich vor, dass die Insassen des Gebäudes hier ausspannen oder ihre Mittagsmahlzeit essen würden. Doch die Sonne macht das unmöglich.
    Einmal in seinem Sprechzimmer, legt er den Aktenkoffer bündig auf den Schreibtisch, schaltet den Ventilator ein, zieht sein Jackett aus und stellt sich mit dem nass geschwitzten Rücken in den Wind. Er gießt sich aus einer Plastikflasche ein Glas Wasser ein, öffnet den Aktenkoffer und holt seinen Füller sowie Papiere heraus.
    Als er zum ersten Mal zu diesem Zimmer, seinem Sprechzimmer, geführt wurde, erkannte er es als das, was es war, auch wenn weder er noch die Verwaltungschefin des Krankenhauses diesbezüglich eine Bemerkung fallen ließen. Hoch aufragende Wände, die bis zur Decke, einer quadratischen ungestrichenen Fläche, hinaufreichten. Eine Metalltür mit Riegel und Vorhängeschloss. Ein einsames schmales Fenster mit sechs stählernen Gitterstäben, die bis über den Außensims reichten. Ein großformatiger Schreibtisch, orange lackiert und zerkratzt, vor dem drei Stühle unterschiedlicher Höhe und unterschiedlichen Alters standen. An einem brüchigen Kabel baumelte eine Vierzig-Watt-Birne und warf unruhige Schatten in die Ecken des Zimmers. Adrian war beim Durchqueren des Zimmers mit dem Kopf daran gestoßen und hatte jetzt eine Verbrennungswunde, blank und gespannt, an der Stirn. Schon zweimal hatte er beantragt, das Fenster zu vergrößern.
    In seiner umfunktionierten Abstellkammer sitzt Adrian abseits von den Geräuschen der Außenwelt: dem Quietschen der Rollbahre, dem Scheppern von Metall auf Metall, gerufenen Namen, Schritten: knapp und flink; dem Schlurfen und Stoßen eines Menschen auf Krücken.
    Das vor ihm liegende Blatt Papier war bereits mit dem Namen seines Patienten überschrieben. Neben die Worte Grund für die Einweisung hat Adrian eigener Wunsch notiert. In den folgenden Minuten schreibt er alles auf, was ihm in den letzten zwei Stunden erzählt worden ist, so wie er sich erinnert. Er schreibt schnell, ohne zu stocken. Die glatte Feder bewegt sich unhörbar über das Papier und zeichnet mit schwarzen Linien die Geschichte des Mannes im Privatzimmer nach.
    Eine Fliege sitzt in der Falle, schlägt in einem Moment hektisch gegen die Fensterscheibe, saust im nächsten über Adrians Kopf durch das Zimmer. Er schlägt nach ihr und verfehlt sie. Jetzt ist es mit seiner Konzentration vorbei, also legt er seinen Füller hin, geht zum Fenster und stemmt es auf. Von jenseits der hohen Wände hört er Wasser laufen, das hohle Scheppern leerer Eimer, Frauenstimmen, streitend, wie er meint. Er ist sich nicht sicher. Er denkt daran, wie leise der Wohlstand doch ist: Menschen, die in abgeschiedenen Räumen leben, Streitigkeiten, mittels Schweigen und geschlossener Türen ausgetragen. Vergleicht dies mit der rüpelhaften Unbefangenheit der Armut. Das losprustende Lachen von Kindern ist allerdings überall auf der Welt gleich.
    An diesem Morgen hat er, nachdem er vom Traum erwacht ist, die Laken zurückgeschlagen und dann dagelegen und an die leere Decke gestarrt und auf die Geräusche des Morgens gelauscht. Vielleicht wegen des Traums dachte er an seinen Vater und seine Mutter.
    An seinen Vater, der ihm im Wohnzimmer gegenübersaß. Draußen die Bäume, die allmählich schwarz wurden vor einem silbernen Himmel, ein jeder umgeben von seiner eigenen lichten Aura. Adrian beobachtete die Hände seines Vaters: die schwarzen Haare auf der blassen Haut, die grau geäderten knochigen Handgelenke, die aus den Manschetten seines karierten Freizeithemdes hervorsahen. Seines Vaters Finger, die an Teilen eines Airfix-Flugzeugs herumfummelten.
    Jahrelang hatte Adrian angenommen, die Idee zu diesem Nachmittagsprojekt sei bestimmt von einem seiner Eltern gekommen, höchstwahrscheinlich von seiner Mutter. Denn er selbst interessierte sich nicht für Flugzeugmodelle, sah nicht ein, was es für einen Sinn haben sollte, Spritzgussteile zusammenzukleben. Doch wenn er jetzt darüber nachdenkt, kann er sich
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