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Lieblingsmomente: Roman

Lieblingsmomente: Roman

Titel: Lieblingsmomente: Roman
Autoren: Adriana Popescu
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entstanden, auf denen Oliver von Zeit zu Zeit in weiblicher Begleitung erscheinen muss. Dann zwänge ich mich in ein Abendkleid oder in ein schönes Kostümchen und begleite ihn als die Frau an seiner Seite. Auf dem Bild hat er seinen Arm stolz um mich gelegt, und ich lehne lächelnd an seiner Schulter. Wir sehen wirklich perfekt aus, da hat Beccie schon recht. Sein Anzug sitzt wie angegossen, die Krawatte hat einen ordentlichen Knoten, seine Frisur sitzt auch eins a – gerade so, als würde sie sogar einen Frankfurt-Rom-London-Haarstresstest ohne Probleme überstehen. Wir lächeln beide glücklich in die Kamera.
    Dann blicke ich wieder zu dem Bild meiner Großmutter an der Wand.

Ich spüre, wie er seinen Arm von hinten um mich legt und meinen Nacken küsst. Er riecht nach Bier und Zigaretten, dabei raucht Oliver nicht einmal. Die rote LCD-Anzeige des Weckers neben mir zeigt an, dass es kurz nach zwei Uhr ist. Ich habe ihn schon im Flur gehört, dann im Bad, jetzt liegt er neben mir im Bett, und ich bin sauer.
    Wie so oft habe ich nämlich auf ihn gewartet. Nicht mit dem Essen, das hätte ich nicht durchgehalten, aber ich wollte ihn heute wenigstens noch kurz sehen. Also habe ich es mir auf dem Balkon bequem gemacht, habe gelesen und Musik gehört, mit Beccie telefoniert, aber irgendwann habe ich es sattgehabt, auf mein Handy zu starren. Das war um halb zwölf. Er hat geschrieben, dass er gegen zehn Uhr in Stuttgart ankommt. Gut, manchmal folgt noch ein Absacker mit den Kollegen, daran habe ich mich längst gewöhnt, aber ich hatte einfach gehofft, dass er sich irgendwann vielleicht doch losreißen würde, um zu mir nach Hause zu kommen. Ich hatte gehofft, er würde noch etwas Zeit mit mir verbringen wollen. Wollte er offenbar nicht. Warum auch immer. Dabei sehen wir uns ohnehin recht selten, wenn man bedenkt, dass wir zusammenwohnen. Unter der Woche kommt er oft erst spät nach Hause und ist müde vom Tag, und am Wochenende arbeite ich oft bis spät in die Nacht und bin dann am nächsten Morgen müde. Das reduziert unsere gemeinsame Zeit viel zu oft auf die, in der wir uns das Bett teilen und nebeneinander einschlafen.
    Ich möchte gerne wissen, wie sein Tag gelaufen ist und ob es ihm gut geht, aber ich bin noch sauer. Er hätte wenigstens kurz anrufen können. Da ich keinen Streit will, halte ich die Augen weiterhin geschlossen und warte, bis seine Atmung ruhig und gleichmäßig geworden ist. Dann erst stehe ich leise auf und schleiche auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer. Unterwegs sammele ich seine Socken und seine Hose ein. Ich bringe alle Klamotten, die ich finden kann, ins Bad und hänge sie dort auf. Sie stinken nach Rauch, und ich will diesen Geruch nun wirklich nicht in der ganzen Wohnung verteilt. Wir haben uns darauf geeinigt, dass in der Wohnung nicht geraucht wird, auch Freunde gehen auf den Balkon. Und genau dahin begebe ich mich jetzt. Es ist mein liebster Platz hier. Unser Balkon über den Dächern der Stadt, mit einem schönen Blick – fast bis zum Fernsehturm, wenn ich mich etwas auf die Zehenspitzen stelle.
    Die Nacht ist warm, der Himmel klar, und ich atme tief ein. Es ist so schön, im Sommer hier draußen zu stehen und einfach nur die Ruhe zu genießen. Früher saßen Oliver und ich hier oft zusammen auf dem großen Sessel. Das war vor seiner Beförderung. Er saß dann immer hinter mir, hat seine Arme um mich gelegt, und wir haben zusammen Wein getrunken, die Sterne angesehen, geflüstert und gelacht. Irgendwann kam dann der Stress in der Arbeit. Er machte Karriere, und ich baute meine kleine Firma auf. Ich habe jeden Job angenommen, der ins Haus kam, um mir einen Namen zu machen und gegen die starke Konkurrenz hier eine Chance zu haben. Wir waren froh, wenn wir gemeinsam erschöpft ins Bett fallen konnten, und obwohl der Wecker uns viel zu früh wieder aus dem Land der Träume riss. Vielleicht sollte ich das wieder etwas öfter mit ihm machen. Hier zusammen draußen sitzen, Sterne zählen. Einfach so, unter der Woche, nur wir zwei. Es heißt doch, man solle den Trott in einer Beziehung durch verrückte kleine Momente aufbrechen. Ich kann mich auch nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal mit mir ausgegangen ist oder wenigstens auf einer meiner Arbeitstouren dabei war. Früher hat er das sehr gerne gemacht, mich begleitet und dann mit mir getanzt. Wir haben einige verrückte Fotos von uns: wie wir tanzen, uns küssen, uns umarmen. Immer sind sie etwas verschwommen, unscharf oder aus
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