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Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
Autoren: Alice Munro
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um staubzusaugen. Ich wusste, was es war – eine nagelneu aussehende Golftasche mit den dazugehörigen Schlägern und Bällen darin. Ich wunderte mich einfach, was sie in unserem Haus zu suchen hatte. Ich wusste kaum etwas über dieses Spiel, aber ich hatte meine Vorstellungen von den Leuten, die es spielten. Das waren nicht Leute, die einen Overall trugen wie mein Vater, obwohl er eine bessere Arbeitshose anzog, wenn er in die Stadt fuhr. Ich konnte mir bis zu einem Grad meine Mutter in der sportlichen Kleidung vorstellen, die man tragen musste, mit einem Tuch um ihre dünnen, wehenden Haare. Aber gar nicht bei dem Versuch, mit einem Ball ein Loch zu treffen. Solch ein läppischer Zeitvertreib war für sie bestimmt indiskutabel.
    Sie muss einmal anders gedacht haben. Sie muss gedacht haben, dass sie und mein Vater sich in eine andere Klasse von Leuten verwandeln würden, Leute, die freie Zeit zur Verfügung hatten und sie genießen konnten. Golf. Abendgesellschaften. Vielleicht hatte sie sich eingeredet, dass gewisse Grenzen nicht existierten. Sie hatte es aus einer Farm auf dem kargen kanadischen Schild hinausgeschafft – eine Farm, viel hoffnungsloser als die, von der mein Vater kam –, und sie war Lehrerin geworden, die in einer Weise sprach, dass ihre eigenen Verwandten sich in ihrer Gegenwart nicht wohl fühlten. Sie konnte sich in den Kopf gesetzt haben, dass sie nach solch erfolgreichem Bemühen überall willkommen sein würde.
    Mein Vater hatte andere Vorstellungen. Nicht, dass er dachte, Städter oder sonst welche Leute seien besser als er. Aber vielleicht glaubte er, dass die anderen das dachten. Und er zog es vor, ihnen keine Gelegenheit zu geben, das zu zeigen.
    Wie es aussah, war es in der Golfsache mein Vater, der gewonnen hatte.
    Nicht, dass er damit zufrieden gewesen wäre, so zu leben, wie seine Eltern es von ihm erwarteten, und ihre auskömmliche Farm zu übernehmen. Als er und meine Mutter ihre alte Umgebung hinter sich ließen und dieses Stück Land kauften, am Ende einer Straße und nahe einer Stadt, die sie nicht kannten, schwebte ihnen sicher vor, mit der Zucht von Silberfüchsen und später Nerzen wohlhabend zu werden. Als Junge hatte es ihn glücklicher gemacht, Pelztiere in Fallen zu fangen, als auf der Farm zu helfen oder auf die Highschool zu gehen – und auch reicher, als er je gewesen war –, und so kam ihm die Idee, daraus einen Beruf zu machen, einen, so meinte er, fürs Leben. Er steckte alles Geld hinein, das er zusammengekratzt hatte, und meine Mutter steuerte ihre Ersparnisse bei. Er baute all die Gehege und Pferche, in denen die Tiere hausen würden, und errichtete die Drahtzäune für ihr Leben in Gefangenschaft. Das Grundstück maß fünf Hektar und hatte die richtige Größe, mit einer Wiese zum Heuen und genug Weideland für unsere eigene Kuh und für alte Pferde, die darauf warteten, an die Füchse verfüttert zu werden. Das Weideland erstreckte sich bis hinunter zum Fluss und hatte zwölf Ulmen, die Schatten spendeten.
    Es wurde viel getötet, wenn ich jetzt darüber nachdenke. Die alten Pferde mussten geschlachtet werden, und die Pelztiere mussten jeden Herbst so weit dezimiert werden, dass nur die Zuchttiere übrig blieben. Aber ich war daran gewöhnt und konnte es einfach ausblenden, indem ich mir eine Szenerie erschuf, die davon frei war und der in den Büchern ähnelte, die ich mochte, wie
Anne auf Green Gables
oder
Pat auf Silver Bush
. Ich hatte dafür die Hilfe der Ulmen, deren Zweige bis aufs Gras herabhingen, den glitzernden Fluss und die überraschende Quelle, die aus dem Uferwall der Viehweide sprudelte und den todgeweihten Pferden und der Kuh frisches Wasser spendete, auch mir, in die mitgebrachte Blechbüchse. Natürlich lagen dort ständig frische Kuhfladen und Pferdeäpfel herum, aber ich kümmerte mich nicht darum, ebenso wenig wie Anne auf Green Gables es getan hatte.
    In jener Zeit musste ich meinem Vater manchmal helfen, weil mein Bruder noch nicht alt genug war. Ich pumpte frisches Wasser in einen Behälter und schob ihn an den Reihen der Käfige entlang, reinigte die Trinkgefäße der Tiere und füllte sie auf. Ich machte das gerne. Die Wichtigkeit der Arbeit, das einsame Tun, so etwas gefiel mir. Später musste ich im Haus bleiben und meiner Mutter helfen, was bei mir Widerwillen und trotzige Bemerkungen auslöste. »Freche Antworten geben« nannte man das. Ich verletzte ihre Gefühle, sagte sie, und die Folge davon war, dass sie in die
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