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Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Titel: Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
Autoren: Anne Sinclair
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antisemitischer Propaganda. Im Mai 1941 auf Betreiben der deutschen Botschaft und des SD gegründet und von ihnen finanziert, unterstand es nicht dem Kommissariat für Judenfragen (Commissariat aux Questions juives), einer Schöpfung des Vichy-Regimes, sondern direkt Otto Abetz. Überdies wurde es intern von »Spezialisten« aus Deutschland kontrolliert, darunter einem gewissen Dr. Schwarz vom Frankfurter Institut zur Erforschung der Judenfrage.
    In Wirklichkeit wurde das Institut von Dannecker persönlich geleitet, Chef des SD-Judenreferats in Frankreich und einerder engsten Mitarbeiter Adolf Eichmanns. Dannecker hatte kein Vertrauen zu den Vichy-Behörden und wollte unter dem Deckmantel einer angeblich französischen Institution ein nur ihm unterstelltes Instrument zur Verbreitung antisemitischer Propaganda schaffen. Joseph Billig stellt in seinem dreibändigen Werk über das Generalkommissariat für Judenfragen fest: »Die ›Endlösung der Judenfrage‹ lag in den Händen des von Dannecker geleiteten Judenreferats. Das Judenreferat betrachtete sich als die Behörde, die in Zukunft die größte Macht über die Juden in Frankreich haben sollte. (…) Nicht das jüdische Eigentum stand im Zentrum ihres Interesses. Sie beschäftigte sich mit den jüdischen Massen selbst. In Erwartung der Deportationen strebte sie die Ghettoisierung der Juden an und organisierte die Razzien.«[ 12 ]
    Sézille – saß er am Schreibtisch meines Großvaters? – empfing seine Befehle nur von Dannecker, den er wie die Deutschen »Mein Leutnant« nannte. Er bat die Propagandastaffel oft um Unterstützung für seine Privatmiliz, beklagte sich über »die Unentschlossenheit und unzureichende Ausführung der [deutschen] Verordnungen durch das Kommissariat für Judenfragen« und bedankte sich unverzüglich schriftlich bei Dannecker für die Verordnung, die jeden Juden zum Tragen des gelben Sterns verpflichtete.
    Obwohl das Institut unter der Vormundschaft der Nazis stand, schickte Sézille am 21. August 1941 eine Mitteilung an die Presse, in der er behauptete, es sei »ein zutiefst französischer eingetragener Verein von Männern guten Willens, die entschieden antijüdisch (…) und entschlossen sind, um jedenPreis und mit allen Mitteln die jüdische Frage in Frankreich zu lösen«.
    Neben der Verbreitung von Propaganda gehörte es zu den Aufgaben des Instituts, schriftliche Denunziationen entgegenzunehmen und für ihre »Erledigung« zu sorgen. In einem Schreiben an Xavier Vallat vom 31. Januar 1942 schmeichelte sich Sézille, 33.000 Mitglieder zu haben; 70.000 hätten sich ins Gästebuch eingetragen. Das Institut gab die Zeitschriften
Le Cahier jaune
[ 13 ] und
La Question juive en France et dans le monde
[ 14 ] heraus. Seine spektakulärste Aktion war die Ausstellung »Le Juif et la France« im Palais Berlitz 1941, von der Otto Abetz später sagte, sie sei von den Nazis selbst organisiert worden; für das Publikum lief sie jedoch unter dem Deckmantel des Instituts. Was heißt, dass die Werkstätten in der Rue La Boétie 21 mit Hochdruck an der Fertigstellung dieser Ausstellung arbeiteten.
    Das Plakat zu der Ausstellung ist bekannt. Auf dem Umschlag der Wochenzeitung
L’illustration
vom
6.
September 1941 ist der offizielle Entwurf abgebildet, und die Zeitung beschreibt ihn wie folgt: »Eine große allegorische Komposition, die eine Art Vampir mit langem Bart, wulstigen Lippen und Hakennase darstellt, dessen magere Finger, den Krallen eines Raubvogels gleich, einen Erdbrocken umklammern.«[ 15 ]
    Kinobesucher sahen in der Wochenschau Reportagen über die Ausstellung.[ 16 ] Der Kommentar zu den Bildern ist – wie allesÜbrige – auch sechzig Jahre später kaum zu ertragen: »Von hundert alteingesessenen Franzosen sind neunzig echte, reinblütige Weiße ohne jede andere rassische Beimischung. Bei den Juden ist das anders. Sie sind schon vor Jahrtausenden aus Rassenmischungen von Ariern, Mongolen und Negern hervorgegangen. Der Jude hat also Verhaltensweisen, Gesten, ein Gesicht, die ihm eigentümlich sind. Es ist ermutigend zu sehen, dass die Franzosen diese Ausstellung besuchen und sich, da sie den Juden nun erkennen, fortan vor seinen Umtrieben schützen können.«
    In einer erschreckenden Präsentation sind, wie auf einem Schießstand, lebensgroße Schwarz-Weiß-Porträts als Zielscheiben aufgestellt. An hervorgehobenem Platz das von Léon Blum. Unter jedem Porträt steht der Name, unter jedem Gesicht ist eine breite Lücke, in der die
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