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Liebe und Verrat - 2

Liebe und Verrat - 2

Titel: Liebe und Verrat - 2
Autoren: Michelle Zink
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Rücken an eine der mächtigen Säulen gelehnt zu Boden, voller Erleichterung.
    Dimitri wird kommen. Ich weiß nicht wann, aber so, wie ich weiß, dass die Sonne jeden Tag auf-und untergeht, weiß ich, dass er kommen wird. Ich schlinge die Arme um meine Knie und flüstere die Worte der verlorenen Seite, grabe sie tiefer und tiefer in mein Gedächtnis ein.
    In der dunklen Kirche kauernd, wispere ich die Worte. Und ich warte.
    Diesmal ist es Alice, die zu mir kommt.
    Ich liege schlafend in der Kathedrale, als ich plötzlich ihre Gegenwart spüre. Ich öffne die Augen und sehe sie am Ende des Ganges stehen, der von der Tür zum Altar führt. Aus der Ferne wirkt sie so durchscheinend wie in jener Nacht auf der Treppe von Milthorpe Manor, aber als sie näher kommt, erkenne ich erschrocken, dass sie mit jedem Schritt fester und wirklicher wird. Als sie schließlich vor mir steht, sieht sie fast so aus, als wäre sie tatsächlich ein Mensch aus Fleisch und Blut und nicht eine Erscheinung aus den Anderswelten. Sie scheint noch mächtiger geworden zu sein, was mich kaum überrascht.
    Sie betrachtet mich mit einem Ausdruck, den ich von ihr nicht kenne. Es ist eine bösartig wirkende Mischung aus Hass und Bewunderung.
    »So«, sagt sie schließlich. »Du hast also gefunden, wonach du gesucht hast.«
    Sogar in ihrer nicht stofflichen Gestalt bringt meine Schwester etwas Düsteres und Furchterregendes in meinem Herzen zum Vibrieren. Ich hebe das Kinn und zeige mich unbeeindruckt. »Ja, und weder du noch die Seelen können es mir entreißen. Die geschriebenen Worte sind bereits zerstört.«
    Sie zuckt nicht mit der Wimper, und ich frage mich, ob sie bereits Bescheid wusste. Ob sie mich von den Anderswelten aus beobachtet hat. »Die fehlenden Seiten waren nie von Bedeutung für uns, abgesehen von dem Umstand, dass sie dir helfen können, die Prophezeiung zu beenden. Wir streben nach einem anderen Ende als du, und dazu brauchen wir die Seiten nicht.«
    »Also ging es nur darum, mich daran zu hindern, die Seiten zu finden. Du wolltest sie gar nicht für dich haben.« Das ist keine Frage. Ich denke an die Dämonenhunde, an den Kelpie, an Emrys … Sie alle handelten im Dienste der Seelen, um meine Reise nach Chartres zu vereiteln.
    Um Samaels Weg in die Welt zu ebnen.
    »Natürlich.« Sie lächelt und legt den Kopf schräg. »Und ich vermute, du denkst, du hättest gewonnen. Dass dir die fehlenden Seiten den Schlüssel zur Enträtselung der Prophezeiung liefern und du sie zu dem Ende führen kannst, das du dir in den Kopf gesetzt hast.« Die Belustigung, die eben noch in ihren Augen stand, erlischt. »Aber du irrst dich, Lia. Genauer gesagt: Du liegst völlig falsch.«
    »Ich weiß nicht, was du meinst, Alice.«
    Sie tritt näher an mich heran, bis sie direkt vor mir steht. Dann sinkt sie auf die Knie, sodass wir auf einer Augenhöhe sind.
    »Du wirst schon dahinterkommen, Lia.« Feuer lodert in ihren grünen Augen. »Du hast gefunden, wonach du gesucht hast, aber immer noch gibt es Dinge, die verloren gingen und im Dunkeln liegen. Dinge, die nach Antworten verlangen. Dinge, die neue Gefahren in sich bergen. Und es gibt etwas, das du brauchst, aber nie bekommen wirst. Das Wichtigste von allen.«
    »Und was soll das sein, Alice?«
    Sie zögert nur einen Augenblick, ehe sie antwortet. Nur ein Wort. »Mich.«
    Sie lächelt, und das Lächeln ist von einer solchen Leere erfüllt, dass mir kalt wird. Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten soll, und ich habe auch keine Gelegenheit, sie danach zu fragen. Noch einen kurzen Moment verschränken sich unsere Blicke, dann ist sie weg und ich bin wieder allein in der nachtdunklen Kathedrale.

34
    Ich halte mich immer in der Nähe der Hauswände und Eingänge. Misstrauisch beäuge ich die Passanten, die mir auf meinem Weg durch die geschäftigen Straßen entgegenkommen.
    Man sollte glauben, dass ich mich nach der langen und gefahrvollen Reise, die ich hinter mir habe, ohne Angst und voller Selbstvertrauen in den Straßen bewegen würde, aber alles, was ich erlebt habe, hat mein Misstrauen nur noch vertieft. Ich denke ständig an den Leibwächter, wie er seine Gestalt wandelte – von dem blonden Jüngling zur Katze, von der Katze zum Arbeiter, vom Arbeiter zum Edelmann. Sie können überall sein, neben mir, hinter mir, jederzeit. Instinktiv betrachte ich jeden Mann und jede Frau, die mir verdächtig vorkommen, suche unwillkürlich nach dem Zeichen der Schlange um ihren Hals.
    Ich überquere die
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