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Liebe und Gymnastik - Roman

Liebe und Gymnastik - Roman

Titel: Liebe und Gymnastik - Roman
Autoren: Edmondo de Amicis
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achselzuckend, «ich sage nichts mehr.»
    «Ich scherze nicht», antwortete Ginoni weiterscherzend. «Hat man nicht auch erklärt, die Gymnastik würde bald der Medizin den Rang ablaufen? Mir scheint, es war Maestro Fassi, der geschrieben hat, gewisse Übungen kämen gewissen Rezepten gleich. Das ist mir ein rechter Kerl, dieser Maestro Fassi! Er ist es auch, glaube ich, der zwischen Montagmorgen und Samstagabend wunderbare Veränderungen an der Muskulatur seiner Schüler feststellt. So hat er zum Beispiel ein höchst originelles Ideal von der Gesellschaft: Die Leute hüpfen durch die Straßen, Böcke und Barren auf allen Plätzen, obligater Kampfsport in sämtlichen Ämtern, Übungen für die oberen Extremitäten in den Salons …»
    «Sprechen Sie nicht weiter, Herr Ingenieur», sagte die Pedani, «denn es tut mir wirklich leid, hören zu müssen, dass ein Mann wie Sie eine so ernste Sache derart ins Lächerliche zieht. Wie kann man nur Witze über die Gymnastik machen, wenn bei uns auf dreihunderttausend Wehrpflichtige achtzigtausend kommen, die wegen körperlicher Untauglichkeit zurückgestellt werden müssen! Wenn unsere Gymnasien voll sind mit bleichen Jungen, die die Oberkörper und Arme von Kindern haben, und man unter zehn Mädchen der besten Gesellschaft nicht zwei ohne konstitutionelle Mängel findet …! Oh, das ist ein trauriger Witz.»
    «Ich bitte um Vergebung», antwortete der Ingenieur. «Ich bekämpfe nicht die Gymnastik an sich. Aber ich habe etwas gegen diese neue Gymnastik, die sich wissenschaftlich-literarisch-apostolisch-theatralisch gibt und bloß erfunden wurde, um Feste und Vorführungen zu veranstalten, um Männer groß zu machen, die Anzahl der Kongresse zu vervielfachen und Zunge und Feder tausendmal mehr zu schwingen als Arme und Beine. Ich glaube, es ist nicht diese Art von Gymnastik, die die Signorina verteidigt.»
    «Ich verteidige sie nicht», erwiderte diese, «weil es sie nicht gibt, sie ist nichts weiter als die Erfindung von Leuten Ihresgleichen. Was ich kenne, ist eine vernünftig durchdachte Gymnastik, gegründet auf die Kenntnis der Anatomie, der Physiologie und der Hygiene, die der Jugend Kraft, Beweglichkeit, Anmut, Gesundheit und gute Laune schenkt und alle moralischen und intellektuellen Fähigkeiten fördert. Ich glaube an diese Wirkungen, weil sie bewiesen sind und ich sie mit meinen eigenen Augen sehe. Ich glaube daher, dass die Gymnastik die nützlichste, heiligste Erziehungseinrichtung für die Jugend ist, und diejenigen, die sie bekämpfen – entschuldigen Sie –, tun mir leid, sie scheinen mir verblendete Menschen, gewissenlose Feinde der Menschheit.»
    Der Ingenieur lachte ein wenig über den leicht pathetischen Tonfall der letzten Worte. «Nein, Signorina», sagte er dann, «ich bin kein Feind der Menschheit. Ich bin nur ein Feind derer, die, ohne einen Arzt zu Rate zu ziehen, wie man es stets tun sollte und nie tut, Kinder zur Gymnastik anhalten, die Schwächen oder Defekte haben und sich dann verletzen. Verstehen Sie mich? Ich bin auch ein Feind derer, die zwischen Starken und Schwachen ehrgeizige Wettkämpfe veranstalten, die die Schwachen Kopf und Kragen kosten; ein Feind derer, die aus der Gymnastik, die doch Erquickung des Geistes sein sollte, ein theoretisches Konstrukt machen, das den Geist ebenso ermüdet wie jede andere Paukerei. Genau das geschieht aber. Und ich bin auch ein Feind jeder Übertreibung. Ich glaube, dass die positiven Auswirkungen der Gymnastik, die unleugbar vorhanden sind, maßlos übertrieben werden, womit man der Welt etwas vorgaukelt. Erlauben Sie mir, Ihnen beispielweise zu versichern, dass keine Übung und kein Gerät Ihnen je die blühende Gesundheit und … die formvollendete Figur hätte schenken können, die Sie in diesem Spiegelschrank sehen können.»
    Der ältere Sohn pflichtete ihm händeklatschend bei.
    Ein Lächeln blitzte in den Augen der Pedani auf. Aber gleich wurde sie wieder ernst. «Immer dasselbe», entgegnete sie, «ich nenne Gründe, und Sie machen Witze. Nur eines will ich Ihnen noch sagen. In Deutschland und England, den beiden führenden Nationen Europas, wird am meisten Gymnastik betrieben. Die Griechen, das führende Volk der Antike, waren das gymnastikbegeistertste Volk der Welt.» Und mit einem Lächeln setzte sie hinzu: «Sie wissen ja: Damit die Bewohner von Cumae, die er unterworfen hatte, sich nicht mehr gegen seine Tyrannei auflehnen konnten, verbot Aristodemos 17 ihnen, Gymnastik zu
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