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Liebe lieber lebenslänglich: Roman (German Edition)

Liebe lieber lebenslänglich: Roman (German Edition)

Titel: Liebe lieber lebenslänglich: Roman (German Edition)
Autoren: Lucy-Anne Holmes
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hat, um eine neue Identität aufzubauen?
    Das einzige Mal, dass ich mich so gefühlt habe, war bei meinem letzten Gesangswettbewerb in Manchester vor fast zehn Jahren. Der Tag hatte sich von Anfang an falsch angefühlt. Es begann damit, dass meine Mutter mich fuhr. Aus einleuchtenden Gründen sangen wir nicht zu Nina Simone. Tatsächlich sangen wir überhaupt nicht. Wir redeten nicht einmal. Und wir hielten ganz sicher nicht irgendwo für einen fettigen Snack an. Im Wagen lag eine Tüte mit geschälten Karotten. Man muss sehr lange fahren von London bis Manchester, und es war der größte Gesangswettbewerb, an dem ich jemals teilgenommen hatte. Der Gewinner durfte bei Sony ein Album aufnehmen, deshalb war es eine bedeutende Veranstaltung.
    Die Gesangswettbewerbe waren immer spaßig gewesen, surreal und albern, und ich hatte sie nur überstanden, indem ich sie nicht allzu ernst nahm. Sing einfach deinen Song, so gut du kannst, war mein Motto. Dads Motto. Aber dieser nationale Wettbewerb kam mir monumental vor, lebensverändernd, zu gewaltig, um ihn zu erfassen. Er hätte bedeuten können, dass ich die Schule verließ und Sängerin wurde, und ich knickte unter dem Druck ein.
    In der ersten Runde mussten wir alle ein Kirchenlied oder einen Gospelsong vortragen, und ich war direkt nach Ruth Roberts dran. Ruth ging auf die Bühne und sang Amazing Grace . Ich hatte sie das Stück schon mindestens hundert Mal singen gehört. Normalerweise höre ich es gern, aber an jenem Tag konnte ich es einfach nicht ertragen. Es ist schwierig zu erklären, aber es war, als würde sich mein ganzes Wesen gegen diesen Song und diesen Wettbewerb wehren, also brüllte ich los, um ihn auszublenden. Ich stand hinter den Kulissen, während meine Mitbewerberin sang, und schrie unkontrolliert, bis Ruth aufhörte und ich hinausbefördert wurde.
    In mancher Hinsicht war das viel dramatischer, als nicht zum Bezirksleiter ernannt zu werden, aber es fühlte sich genauso an. Ich hatte jahrelang auf etwas hingearbeitet, nur um zu versagen.
    »Wir sollten mal langsam wieder hinausgehen«, sagt Wendy.
    Sie hat nicht Unrecht: Wir sind seit zwanzig Minuten in den Waschräumen. Wendy hat sich im Spiegel betrachtet, ihren dunklen Bob zurechtgezupft und ihre Augen schwarz nachgeschminkt. Sie sieht jetzt ein bisschen aus wie ein Käfer. Ein schöner Käfer, aber trotzdem ein Käfer. Das ist ihr bewusst, und sie schämt sich nicht dafür. Immer wenn wir zu einer Kostümparty eingeladen sind, trägt sie ihr selbst kreiertes Bienenkostüm. Es besteht aus einem einteiligen schwarzen Catsuit mit einem großen, weichen, bienenförmigen Mittelteil und einem Kopfbügel, der als Fühler dient. Und sie schminkt sich genau wie heute. Damit kommt sie immer an.
    Ich sitze auf dem Klodeckel. Seit der Bekanntgabe habe ich kein einziges Wort gesagt. Fünf Jahre Arbeit, die man praktisch im Klo runterspülen könnte, nur dass ich gerade darauf sitze. Ich habe mein Ziel nicht erreicht. Das Buch sagt nicht, was dann passiert. Es sagt einem auch nicht, was man tun soll, wenn ein Wildfremder aus dem Nichts auftaucht und den Platz einnimmt, an dem man selbst stehen sollte. Ich wollte eigentlich an diesem Wochenende meinen neuen Fünfjahresplan aufstellen. Aber wozu? In den letzten fünf Jahren habe ich gewusst, welche Ziele ich anstrebe. Nun fühle ich mich verloren. Ich kann nicht für diesen Schnösel arbeiten. Ich hätte seinen Job bekommen sollen. Ich hatte alles geplant. Was jetzt? Kann mir bitte jemand sagen, was ich jetzt tun soll?
    »Gracie, rede mit mir. Ich meine, ich weiß, dass du unter Schock stehst, aber du musst was sagen. Wie willst du Immobilien verkaufen, wenn du nicht reden kannst? Wie willst du deinem Dad vorsingen? Ich meine, ich nehme an, du könntest auf Pantomime ausweichen …« Wendy verstummt kurz. » GRACIE !« Oje, das ist ihre böse Stimme. Diejenige, die sie benutzt, wenn die Jungs ihr die Tintendruckerpatronen klauen und mit nach Hause nehmen. Wendy wird immer leicht panisch, wenn ich nichts sage. » SAG ETWAS. IRGENDWAS .«
    »Ich hasse ihn«, knurre ich.
    »Großartig.« Sie scheint sich aufrichtig über meinen Fortschritt zu freuen. Sie wartet darauf, dass ich nachlege, aber den Gefallen tu ich ihr nicht.
    »Das Positive ist, dass er wenigstens gut aussieht.«
    Ich starre sie an und schüttle den Kopf.
    »Wir müssen ihn ganz schnell wieder loswerden. Dann bekomme ich den Job, und der Schaden hält sich in Grenzen. Anderenfalls könnte es sein, dass
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