Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe deinen nächsten

Liebe deinen nächsten

Titel: Liebe deinen nächsten
Autoren: Erich Maria Remarque
Vom Netzwerk:
Mutter nicht.«
      »Aha!«
      Der Oberkommissär schnippte die Asche seiner Zigarette auf den Boden. »Warum sind Sie denn nicht in Deutschland geblieben?«
      »Man hat uns unsere Pässe abgenommen und uns ausgewiesen. Wir wären eingesperrt worden, wenn wir geblieben wären. Und wenn wir eingesperrt werden mußten, wollten wir es lieber in einem anderen Lande als in Deutschland.«
      Der Oberkommissär lachte trocken. »Kann ich verstehen. Wie sind Sie denn ohne Paß über die Grenze gekommen?«
      »An der tschechischen Grenze genügte damals für den kleinen Grenzverkehr ein einfacher Einwohner-Meldeschein. Den hatten wir noch. Man konnte damit drei Tage in der Tschechoslowakei bleiben.«
      »Und nachher?«
      »Wir bekamen drei Monate Aufenthaltserlaubnis. Dann mußten wir fort.«
      »Wie lange sind Sie schon in Österreich?«
      »Drei Monate.«
      »Warum haben Sie sich nicht bei der Polizei gemeldet?«
      »Weil ich dann sofort ausgewiesen worden wäre.«
      »Na, na!« Der Oberkommissär schlug mit der flachen Hand auf die Sessellehne. »Woher wissen Sie das so genau?«
      Kern verschwieg, daß er und seine Eltern sich das erste Mal, als sie über die österreichische Grenze gegangen waren, sofort bei der Polizei gemeldet hatten. Sie waren am gleichen Tage über die Grenze zurückgeschoben worden. Als sie dann wiederkamen, hatten sie sich nicht mehr gemeldet.
      »Ist es vielleicht nicht wahr?« fragte er.
      »Sie haben hier nicht zu fragen; Sie haben nur zu antworten«, sagte der Schreiber grob.
      »Wo sind Ihre Eltern jetzt?« fragte der Oberkommissär.
      »Meine Mutter ist in Ungarn. Sie hat dort eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, weil sie ungarischer Herkunf ist. Mein Vater ist verhafet und ausgewiesen worden, als ich nicht im Hotel war. Ich weiß nicht, wo er ist!«
    »Was sind Sie von Beruf?«
    »Ich war Student.«
    »Wovon haben Sie gelebt?«
    »Ich habe etwas Geld.«
    »Wieviel?«
      »Ich habe zwölf Schilling hier. Das andere habe ich bei Bekannten.«
      Kern besaß nicht mehr als die zwölf Schilling. Er hatte sie verdient durch Handel mit Seife, Parfüm und Toilettewasser. Hätte er das jedoch zugegeben, wäre er auch wegen verbotener Arbeit strafar gewesen.
      Der Oberkommissär erhob sich und gähnte. »Sind wir durch?«
      »Es ist noch einer unten«, sagte der Schreiber.
      »Wird auch dasselbe sein. Viel Gescher und wenig Wolle.« Der Oberkommissär warf einen schiefen Blick auf den Offizier. »Alles Leute, die illegal eingereist sind. Sieht nicht nach kommunistischem Komplott aus, was? Wer hat denn die Anzeige gemacht?«
      »Jemand, der auch so eine Bude hat. Nur mit Wanzen«, sagte der Schreiber. »Geschäfsneid wahrscheinlich.«
      Der Oberkommissär lachte. Dann sah er, daß Kern noch im Zimmer war. »Bringt ihn hinunter. Sie wissen ja, was es gibt: vierzehn Tage Haf und Ausweisung.« Er gähnte nochmals. »Na, ich geh’ auf ein Gulasch und ein Bier.«

    MAN BRACHTE KERN in eine kleinere Zelle als vorher. Außer ihm befanden sich noch fünf der Verhafeten darin; darunter der Pole, der mit im Zimmer geschlafen hatte. Nach einer Viertelstunde brachte man auch Steiner. Er setzte sich neben Kern. »Das erstemal im Kasten, Kleiner?«
    Kern nickte.
    »Und? Fühlst dich wie ein Mörder, was?«
      Kern verzog die Lippen. »Ungefähr. Gefängnis – ich habe da noch so Vorstellungen von früher her.«
      »Das hier ist nicht Gefängnis«, belehrte Steiner ihn. »Es ist Haf. Gefängnis kommt später.«
      »Warst du schon drin?«
      »Ja. Wirst es dir das erstemal zu Herzen nehmen. Dann nicht mehr. Besonders im Winter nicht. Hast wenigstens Ruhe während der Zeit. Ein Mensch ohne Paß ist eine Leiche auf Urlaub. Hat sich eigentlich nur umzubringen, sonst nichts.«
      »Und mit Paß? Mit Paß bekommst du doch auch nirgendwo im Ausland Arbeitserlaubnis.«
      »Natürlich nicht. Du hast damit nur das Recht, in Ruhe zu verhungern. Nicht auf der Flucht. Das ist schon viel.«
      Kern starrte vor sich hin.
      Steiner schlug ihm auf die Schulter.
      »Kopf hoch, Baby!
      Du hast dafür das Glück, im zwanzigsten Jahrhundert zu leben – im Jahrhundert der Kultur, des Fortschritts und der Menschlichkeit.«
      »Gibt es hier eigentlich nichts zu essen?« fragte ein kleiner Mann mit einem Glatzkopf, der in der Ecke auf einer Pritsche saß. »Keinen Kaffee wenigstens?«
      »Sie brauchen nur dem Kellner zu klingeln«, erwiderte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher