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Liebe auf Dauer

Titel: Liebe auf Dauer
Autoren: Hans Jellouschek
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Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass es wechselseitig geschieht. Auf dieses Thema der Wechselseitigkeit werden wir noch ausführlich zu sprechen kommen. Hier sei nur so viel schon gesagt: Wenn es einseitig geschieht, wenn nur einer sich um das Verstehen des anderen bemüht und Einfühlung in den anderen übt, wird die Beziehung zu einem Ausbeutungsverhältnis. Selbst wenn Frauen »von Natur aus« in dieser Hinsicht die begabteren sein sollten, kann eine Beziehung heutzutage nicht mehr gelingen, wenn nicht die Männer sich ebenso um diese Haltung bemühen.
Das Kind im anderen kennen lernen
    Den anderen kennen lernen, ihn in seiner Eigenart »erforschen« und verstehen lernen, das gilt ganz wesentlich auch für den Partner in seinem »Geworden-Sein«. Wir kennen den anderen nicht, wenn wir nicht auch seine Geschichte kennen und ihn aus dieser Geschichte heraus in dem, wie er jetzt ist, besser verstehen. Unsere Geschichte ist nicht nur etwas Vergangenes. Das Kind, das wir einmal waren, lebt in uns und zeigt sich immer wieder, oft allerdings versteckt oder »maskiert«. Wir müssen nach diesem Kind suchen, um es zu entdecken.
    Was ich hier meine, kann ich am leichtesten an einem Beispiel deutlich machen: Friedrich und Gerlinde sind ein Paar, leben aber nicht zusammen, und die Frage, »Nägel mit Köpfen« zu machen, zusammenzuziehen, zu heiraten, oder aber sich zu trennen und eigene Wege zu gehen, steht in letzter Zeit ständig im Raum. Die beiden sind sehr verschieden, sie lebendig, sprudelnd, aktiv und initiativ, er bedächtig, zurückhaltend und ruhig. In der Verliebtheitsphase hat sie das sehr aneinander fasziniert, im Alltag wird es immer konflikthafter. Sie erlebt ihn passiv, sich entziehend, resignativ, er erlebt sie kontrollierend, ungeduldig, aggressiv. Immer wieder eskalieren sie konflikthaft, vor allem weil sie sich immer wieder von ihm hängen gelassen und er sich von ihr massiv abgeurteilt, ja oft vor-verurteilt fühlt: Er hat es übernommen, den Urlaub zu organisieren, und sie denkt, das würde er nächste Woche tun. In der nächsten Woche geschieht aber nichts. Sie fragt nach, sie drängt. Er fühlt sich ge-drängt, wehrt ab, zieht sich zurück. Weil die darauf folgende Woche noch immer nichts passiert, geht sie schließlich selbst wutentbrannt ins Reisebüro und bucht den Urlaub. Das macht nun aber ihn genauso wütend, denn gerade an diesem Tag wollte er das doch ohnehin machen. Er fühlt sich abgewertet, sie sich hängen gelassen. Oder: Sievereinbaren eine gemeinsame Autofahrt. Wer zum vereinbarten Zeitpunkt nicht da ist, ist Friedrich. Sie steht im Halteverbot, weil sie keinen Parkplatz gefunden hat, und steht tausend Ängste aus, deshalb einen Strafzettel zu bekommen oder wegfahren zu müssen und ihn dann zu verpassen. Als er angehetzt kommt, fällt sie über ihn her, gibt ihm keine Chance, irgendetwas zu erklären. Sie fühlt sich wieder hängen gelassen, er wieder abgeurteilt und heruntergemacht.
    Weil Derartiges in der Beziehung immer und immer wieder passiert – »Ich fühle mich von ihm hängen gelassen«/ »Ich fühle mich ihr gegenüber unfähig und abgeurteilt« –, denken sie immer öfter darüber nach, einen endgültigen Strich unter die Beziehung zu ziehen. Wir sprechen in den Stunden darüber, dass sie grundlegend unterschiedliche Einstellungen zur Wirklichkeit haben, sie ist extraviert und auf praktisches Tun ausgerichtet, er dagegen introvertiert und eher ein Denk-Typ. Das können sie gut verstehen, sie bemühen sich auch um Empathie und Akzeptanz, aber diese gelingt immer nur punktuell. In der Konfliktsituation treffen sie offensichtlich wechselseitig immer wieder so wunde Punkte des anderen, dass sie fast unweigerlich wieder in ihre schlimmen Eskalationen geraten.
    So lasse ich mir von ihnen ein wenig aus ihrem Leben und aus ihrer Vorgeschichte erzählen. Gerlinde war die einzige Tochter ihrer Mutter, die noch eine sehr kindliche, unselbstständige Frau war, als sie sie zur Welt brachte. Der Vater blieb zwar mit ihr verheiratet, wandte sich aber bald anderen Frauen zu. Das stürzte die Mutter so in Verzweiflung, dass sie immer wieder mit Weglaufen und Selbstmord drohte. Die kleine Gerlinde lebte häufig deshalb in Angst und Panik und versuchte alles Mögliche, um die Mutter davon abzuhalten. Sie musste ständig auf der Hut sein, beobachtete genau, was geschah, und versuchte, alles um sie herum unter Kontrolle zu halten. Friedrich war ebenfalls Einzelkind, sein Vater ein sehr
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