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Lichterspiele

Lichterspiele

Titel: Lichterspiele
Autoren: Rosamunde Pilcher
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überdimensionale Flügel. Sie liefen von der erleuchteten Bühne hinunter in die Dunkelheit, geschwind und leise, durch den Mittelgang und zur hinteren Flügeltür hinaus, mit so anmutiger Geschwindig keit, daß sie fast ohne einen Laut, ohne eine Spur, verschwanden.
    Und dann hatte Sara Rutherford, die den Droll als segelohrigen Teenager spielte, die Bühne für sich allein, mit einem einzigen Scheinwerfer.
     
    Wenn wir Schatten euch beleidigt,
    O so glaubt - und wohl verteidigt
    Sind wir dann! - ihr alle schier
    Habet nur geschlummert hier...
     
    Sie hatte eine kleine Flöte. Als sie zu 'Nun gute Nacht! Das Spiel zu enden' gelangte, spielte sie das Thema von Mendelssohns Ouver türe. Dann triumphierend: „Begrüßt uns mit gewognen Händen.“ Der Scheinwerfer ging aus, der Vorhang fiel, und Applaus kam auf.
    Alles vorbei. Emma stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, weil nichts schiefgegangen war, klappte das Soufflierbuch zu und lehnte sich zurück. Die Darsteller strömten zum ersten Vorhang wieder auf die Bühne. Als der Junge, der den Zettel spielte, an ihr vorbeiging, beugte er sich herunter und flüsterte:
    „Tommy hat mich gebeten, dir auszurichten - da wartet ein Typ, der zu dir will. Erst hat er eine halbe Stunde im Künstlerzimmer gesessen, aber dann hat Tommy ihn in sein Büro gebracht. Er meinte, da wärt ihr ungestörter. Geh mal lieber nachsehen, was los ist.“
    „Zu mir? Wer ist es denn?“
    Doch Zettel war schon auf der Bühne. Der Vorhang ging hoch, erneut aufbrausender Applaus, Lächeln und Verbeugung und Knickse...
    Emmas erster Gedanke war Christo. Aber wenn es Christo war, warum hatte der Junge es nicht gesagt? Sie ging die Holztreppe hinunter und über die Arbeitsbrücke, die zum oberen Absatz der Büh neneingangstreppe führte. Die Tür zum Künstlerzimmer am Ende eines kurzen Flurs stand halb offen und gab den Blick auf ein durch gesessenes Samtsofa und die gerahmten alten Theaterplakate an der Wand frei. Tommy Childers' Büro lag an diesem Flur. Die Tür war geschlossen.
    Hinter Emma erstarb der Applaus und brandete zum zweiten Vorhang wieder auf.
    Sie öffnete die Tür.
    Es war ein winziger Raum, wenig größer als ein Kleiderschrank, kaum groß genug für den Schreibtisch, ein paar Stühle und einen Aktenschrank. Er saß am Schreibtisch, auf Tommys Stuhl, hinter Tommys privatem Durcheinander von Textbüchern, Briefen, Pro grammfahnen und Regie-notizen. An der Wand hinter ihm waren Bühnenfotos mit Reißzwecken befestigt. Jemand hatte ihm eine Tasse Tee ge-macht, aber er hatte sie nicht getrunken, und der Tee stand vor ihm, scheußlich kalt und unberührt. Er trug eine perlgraue Hose, eine braune Lederjacke, ein hellblaues Baumwollhemd und eine dunkelblaue Krawatte, lose gebunden, so daß der obere Knopf zu sehen war. Er war bräuner denn je, sah fast zehn Jahre jünger aus und nahezu unanständig attraktiv.
    Er rauchte eine amerikanische King-Size-Zigarette, und der über quellende Aschenbecher verriet, daß er schon lange auf Emma wartete. Als sie durch die Tür kam, wandte er den Kopf, um sie an zusehen, den Ellbogen auf den Schreibtisch, das Kinn in die Hand gestützt. Durch den Dunst des Zigarettenrauchs blieben seine Augen dunkel, umschattet und ganz und gar unergründlich.
    „Wo hast du gesteckt?“ fragte er in leicht ärgerlichem Ton, und Emma war so verblüfft, daß sie ihm Rede und Antwort stand.
    „Souffliert.“
    „Komm rein und mach die Tür zu.“
    Sie tat wie geheißen. Der Applaus im Zuschauerraum war nicht mehr zu hören. Ihr Herz klopfte, aber ob vor Schrecken, Freude oder Anspannung, war unmöglich festzustellen. Schließlich sagte sie matt: „Ich dachte, du bist in Amerika.“
    „War ich auch, heute morgen. Bin heute zurückgeflogen. Und gestern... ich nehme zumindest an, daß es gestern war, diese ewigen Datumsgrenzen und Zeitumstellungen machen das Leben schreck lich kompliziert... war ich in Mexiko. Ja, gestern. In Acapulco.“
    „Acapulco ?“
    „Wußtest du, daß die Flugzeuge, die nach Acapulco fliegen, alle ganz bunt bemalt sind? Und auf dem Weg nach Süden machen die Stewardessen eine Art Uniform-Striptease. Faszinierend.“ Er sah sie unverwandt an. „Emma, irgendwas ist anders an dir. Das ist es, du hast die Haare abgeschnitten. Gute Idee! Dreh dich um und zeig dich von hinten.“ Sie wandte vorsichtig den Kopf und beobachtete ihn dabei aus dem Augenwinkel. „Viel besser. Ich wußte gar nicht, daß du so eine klassische Kopfform hast.
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