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Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Titel: Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz
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genug Wärme, um ein wenig Wasser zu schmelzen, das dann als Schmiermittel zur Verfügung steht. Für diese Idee gibt es einige experimentelle Belege, und man ist sich heute fast sicher, dass Reibungswärme beim Rutschen auf dem Eis eine wichtige Rolle spielt. Leider ist Eis auch dann glatt, wenn sich gar nichts auf ihm bewegt und also auch gar keine Reibung stattfindet.
    Aus dieser verfahrenen Situation rettet uns eventuell die besondere Struktur der Wassermoleküle. Schießt man mit Elektronen, Protonen oder Röntgenstrahlen auf eine Eisoberfläche, stellt man fest, dass sich die obersten Moleküle des Eises so verhalten, als wären sie flüssig, eine Idee, die schon im Jahr 1850 von der Physiklegende Michael Faraday geäußert wurde, ganz ohne Elektronenkanone. Vielleicht erzeugt das Eis also alleine, ohne Druck oder Reibung, eine flüssigkeitsähnliche Schicht, auf der man leicht entlanggleiten oder ausrutschen kann. Wie das Eis dies aber genau anstellt, ist unklar und Gegenstand aktueller Forschung. Sicherlich hat es damit zu tun, dass an der Eisoberfläche die bindungsfreudigen Moleküle nicht mehr wissen, wohin mit ihren Elektronenwolken, und wild mit Armen und Beinen herumstrampeln, genau wie sie das im flüssigen Zustand tun. So schön das alles klingt, es gibt auch Zweifler: Der amerikanische Physiker Miquel Salmeron und sein Team sahen sich die Eisoberfläche mit Hilfe des teuren Rasterkraftmikroskops genauer an und fanden heraus, dass Eis im atomaren Maßstab trotz der «flüssigen» Schicht immer noch sehr rau und gar nicht rutschig ist. Warum Eis also letztlich glatt ist, bleibt ungeklärt.
    Übrigens gibt es nicht nur eine Sorte Eis, und damit ist nicht etwa Vanille und Schoko gemeint. Unter normalen Bedingungen gefriert Wasser zu sogenanntem «Eis Ih» (abgekürzt für: «Eis eins hexagonal»): Jeweils sechs Moleküle finden sich zu einem Sechseck zusammen und halten sich mit Armen und Beinen gegenseitig und an den Nachbarsechsecken fest. Das Gebilde sieht aus wie eine Bienenwabe und hat, wie bereits erwähnt, eine eher lose Struktur. Bei hohem Luftdruck und niedrigen Temperaturen, wie sie auf der Erde selten bis gar nicht vorkommen, können sich jedoch vollkommen andere, teilweise sehr komplexe Strukturen bilden, die «Eis II» bis «Eis XIV» heißen und ihre Moleküle dichter zusammenpacken als das handelsübliche «Eis Ih». «Eis III» zum Beispiel setzt sich nicht aus Sechsecken zusammen, sondern aus kleinen Molekültetraedern und entsteht bei Temperaturen unter –20 Grad Celsius und starkem Überdruck. «Eis IX» sieht ganz ähnlich aus und bildet sich, wenn man «Eis III» zügig abkühlt. Zum Glück hat es nicht viel gemein mit dem «Eis 9» in Kurt Vonneguts Roman «Katzenwiege», das schon bei +46 Grad gefriert und somit ziemlich schnell die komplette Erde in einen riesigen Schneeball verwandelt.
    Vieles an den diversen Eisarten, ihren Eigenschaften und ihrer Entstehung ist unverstanden. Vielleicht gibt es auch mehr als die bisher entdeckten; schon morgen könnte das Institut um die Ecke eine vollkommen neue, noch nie gesehene Eissorte im Angebot haben. Dass es überhaupt so viele verschiedene Eise gibt, liegt wiederum an der besonderen Struktur der Wassermoleküle, die sich ohne großes Widerstreben auf unterschiedlichste Art und Weise anordnen lassen. Untersuchungen der exotischen Eisarten erlauben so Einblicke in die Bindungseigenschaften des Wassers, was wiederum zu nützlichen Erkenntnissen Anlass geben könnte über die zahlreichen biologischen und chemischen Gesellschaftsspiele, bei denen es bereitwillig mitmacht.
    Ein weiteres Kunststück, das sich Wasser für den Übergang zu Eis ausgedacht hat, sind Schneeflocken. Wissenschaftlich ausgedrückt, sind Schneeflocken winzige Eiskristalle, die sich beim Gefrieren von Wasserdampf in Wolken bilden. Die einfachsten Schneeflocken sind kleine, sechseckige Platten oder Prismen, sechseckig deshalb, weil die Kristallstruktur des unter normalen Bedingungen entstehenden Eises, wie gesagt, hexagonal ist. Hat sich aus dem Wasserdampf ein erstes Sechseck zusammengefunden, bleibt den sich anschließend anlagernden Wassermolekülen nichts anderes übrig, als der vorgegebenen Struktur zu folgen. Verändert sich jedoch die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit rings um diese «Ur-Schneeflocke», zum Beispiel, wenn Wind durch die Wolke bläst, dann passieren spannende Dinge: Die sechseckige Platte wächst in Höhe oder Durchmesser, in der Mitte entsteht
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