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Letzter Weg

Letzter Weg

Titel: Letzter Weg
Autoren: Hilary Norman
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immer wie eine Befreiung für Cathy gewesen. Dass sie im Gefängnis nicht hatte laufen können, war eine der größten Entbehrungen für sie gewesen. Wann immer sie etwas bedrückte oder ängstigte, zog sie die Laufschuhe an und rannte los.
    Die Nachricht vom Mord an dem Hausmeister hatte sie zwar nicht ausrasten lassen, denn sie hatte den armen Mann nie kennen gelernt; aber die Tatsache blieb bestehen, dass ein Mann ermordet worden war – ein menschliches Wesen mit Familie und Freunden, deren Welt nun vermutlich zusammenbrach. Das kannte Cathy nur allzu gut. Und darüber nachdenken wollte sie nun wirklich nicht; also war sie heute Morgen zur Uni gefahren, hatte ihren Mazda geparkt (Grace’ ehemaliger Wagen, bis Sam ihr einen neuen Toyota gekauft hatte), hatte sich ein paar Stunden in der Bibliothek abgeplagt und war dann auf die Aschenbahn gewechselt.
    Erst, nachdem sie ihre Runden gedreht, sich bei Dehnübungen abgekühlt und ihre Trainingshose wieder angezogen hatte, bemerkte Cathy, dass sie beobachtet wurde.
    Fotografiert.
    Es war das Funkeln der Linse, das Cathys Aufmerksamkeit erregte.
    Dann wurde die Kamera gesenkt, und Cathy sah, wer das Foto aufgenommen hatte.
    Kez Flanagan.
    Wenn Cathy eine Heldin an der Trent University hatte, war es Kerry »Kez« Flanagan, der einundzwanzigjährige Mittelstreckenstar der Tornados, der Hochschul-Leichtathletikmannschaft.
    Kez Flanagan stand unter einem Palisanderbaum.
    »Hi«, sagte sie.
    »Hi.« Cathy zog sich trotz der Hitze die Jacke an.
    »Ich hoffe, das macht dir nichts aus?« Kez Flanagan deutete auf die Kamera, die um ihren Hals hing. Es war die Art von Kamera, die Cathy als »echt« betrachtete, nicht eines dieser kleinen digitalen Dinger,die heutzutage jeder mit sich herumtrug. »Ich habe gerade einen Film vollgeknipst und …«
    »Und ich bin dir dabei zufällig vor die Linse gelaufen«, sagte Cathy verlegen.
    »Mir gefällt dein Laufstil.« Flanagans Stimme klang heiser.
    »Wirklich?« Cathy hörte die Überraschung in ihrer eigenen Stimme, was sie noch verlegener machte.
    »Schöne, geschmeidige Schritte«, sagte Flanagan.
    »Danke.« Cathy war froh, dass sie vom Laufen ohnehin schon einen roten Kopf hatte.
    »Ich bin Kez Flanagan.« Die andere Frau streckte die Hand aus.
    »Ich weiß.« Cathy spürte den kräftigen Druck der braun gebrannten Hand, schaute nach unten, als sie sich von ihr löste, und sah die langen Finger und die lackierten Fingernägel … fast wie die der verstorbenen Sprinterin Flo-Jo, nur deutlich kürzer, ähnlich den Nägeln eines Gitarristen. »Ich bin Cathy Becket.«
    Aus der Nähe betrachtet war Flanagans kurzes, stacheliges Haar fast von der feuerroten Farbe des Eisenholzbaums im Hof ihres Hauses auf der Insel. Ihre Augen waren ein grün-geflecktes Haselnussbraun, ihr Kinn spitz, der Mund ebenmäßig und die Nase gerade, aber aggressiv – wie eine Pfeilspitze.
    »Ich weiß«, sagte Kez Flanagan. »Ich habe dich schon ein paarmal laufen sehen.«
    »Hast du?« Cathy fiel es schwer, Flanagan nicht anzustarren.
    »Du bist nicht schlecht.«
    »Na ja …« Cathy war verlegen. »Aber ich laufe keine Rennen oder so.«
    »Vielleicht solltest du das aber«, sagte Flanagan. »Mit ein wenig Training und Disziplin könntest du ziemlich gut werden.«
    Die Stimme klang nun fast so rau wie die eines Rauchers, obwohl Cathy sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass eine engagierte Leichtathletin wie Flanagan, deren Körper sowohl aus der Nähe wie aus der Ferne drahtig und hart wirkte, irgendwelchen Müll in ihre Lunge saugte.
    »Du läufst«, fuhr Flanagan fort, »als würdest du vor jemandemfliehen.« Sie sah Misstrauen in den Augen der jüngeren Frau. »Das ist cool … solange du die Kontrolle darüber hast.«
    »Ja, so ist es wohl«, sagte Cathy.
    »Aber das geht mich nichts an.«
    »Nein.« Cathy errötete erneut. »Ich meine … Es macht mir nichts aus, nicht, wenn es von dir kommt.«
    »Ich bin keine Expertin.«
    »Du bist die Beste.« Cathy hörte die Ehrfurcht in ihrer Stimme, konnte aber nicht anders.
    Kez Flanagan zuckte mit den Schultern. »Ich bin vielleicht ein großer Fisch, aber in einem kleinen Teich.«
    »Du hast in Sarasota Gold für unsere Uni geholt.«
    »Nur weil Jackson sich den Knöchel verstaucht und Valdez Mist gebaut hat.«
    »Was ist mit dem Silber in Tampa?«
    Flanagan lächelte. »Tampa war etwas Besonderes.«
    »Du bist etwas Besonderes«, sagte Cathy.
    »Na ja, ich hab meine guten Augenblicke.«
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