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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise
Autoren: Anna Enquist
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während seine Laune immer schlechter wurde. Schade drum. Laß mich das machen. Wenn er zum Herbst hin zurückkam, wurden die Tage schon kürzer, und es standen lange, dunkle Abende bevor. Zusammen an etwas Wichtigem zu arbeiten, würde eine Ablenkung sein, ein guter Beginn für ein gemeinsames Leben.
    Bei seiner Rückkehr würden sie mehr als zwölf Jahre verheiratet sein, doch sie hatten noch nie ein ganzes Jahr am Stück zusammen im selben Haus verbracht. Immer wieder fuhr James im Frühjahr weg, um erst im November zurückzukehren. Weihnachten. Am Tisch Karten und Küstenlandschaften zeichnen. Er hatte zwei Leben. Sie auch. Es entstand ein Rhythmus und mit ihm einhergehend Beruhigung. Ein einziges Mal hatte sie Angst bekommen, als er mit einer groben, kaum verheilten Narbe über die ganze rechte Hand zurückgekehrt war. Ein Pulverhorn sei explodiert, sagte er, es hätte schlimmer kommen können. Die Verletzung unversehrter Haut vergegenwärtigte ihr, daß er bei der Marine arbeitete und Kämpfen und Zerstören Teil dieser Arbeit sein konnten. Nach ein, zwei Tagen legte sich ihre Angst. Es war ja schon geschehen, er lief durchs Haus, sie hörte seine Stimme und sah, was er tat. Seine Anwesenheit lenkte ihre Aufmerksamkeit von der Wunde und deren Bedeutung ab.
    Er trug seither einen Handschuh, rechts. Schämte er sich für die Verunstaltung, oder wollte er andere nicht damit erschrecken? Die Wunde war wulstig und blaß verheilt, die Narbe bewegte sich wie eine weißliche Schlange über seinen Handteller zum Gelenk. Sie konnte sie fühlen, nachts, wenn er die Hände von ihren Schenkeln zu ihren Schultern wandern ließ. Die Narbe drückte gegen ihre Haut. Sie sollte seine Hand fassen und langsam mit der Zunge über die Verwundung fahren, sie sollte sich die Narbe einverleiben, diese Narbe mußte in die Kartographie des Körpers ihres Mannes aufgenommen werden, von ihr.
    Es gab viel zu tun. Mahlzeiten hatten überlegt, zubereitet und gegessen zu werden; die Kleidung der Jungen mußte gewaschen, ausgebessert, ersetzt werden. Im Gemüsegarten mußte sie säen, düngen, jäten. Sie hatte Hilfe, da waren Menschen, die ihr bei diesen Aufgaben zur Seite standen und sie ermunterten oder rundheraus zwangen, tätig zu werden. Nat, der demonstrativ in den zu klein gewordenen Schuhen durchs Zimmer stolperte. Das Mädchen, das sich mit dem Einkaufskorb auf dem Schoß zu ihr setzte, um über den Speiseplan zu reden. Der Gärtner, der sich erkundigte, wo die Möhren und wo die Pastinaken gesetzt werden sollten, und sich erst an die Arbeit machen konnte, wenn sie einen Entschluß gefaßt hatte. Es gab viel zu tun. Mehr als früher schien es, mehr als in den ersten Jahren dieser zweiten Weltreise. James' Rückkehr warf ihre Schatten voraus und färbte schon die täglichen Aufgaben. Auch er würde eine Meinung haben, wo das Gemüse stehen sollte, eine fundierte Meinung, basierend auf einer vernünftigen Erwägung von Sonnenstand und Feuchtigkeitszufuhr. Sie begann, Haus, Garten und Kinder durch seine Augen zu betrachten, und konstatierte, daß viel verändert, saubergemacht und weggeworfen werden mußte. Als ließe sie alles verlottern, sobald er weg war, aber das war nicht so. Ihre Ordnung war anders. Oder war es Einbildung, existierte der kritische Kapitän nur in ihren Gedanken? Daß der kleine Nat jeden Morgen kurz zu ihr ins Bett gekrochen kam, das ging bald nicht mehr. Das ging nie mehr.
    Nach dieser Reise mußte es vorbei sein. Nach dieser Reise begann ein anderes Leben, ein Sommerleben.
    Zwölf Jahre lang war sie sommers allein gewesen. Das war nicht schlimm, sie hatte es ja gewußt und sich klargemacht, als sie sich dafür entschieden hatte, diesen Seemann zu heiraten, sie kam gut damit zurecht und hatte sich, zumal am Anfang, sogar auf diese Einsamkeit gefreut. Immer hatte es die Wiedervereinigung gegeben; das Bett war zu groß oder zu klein; es herrschte Bewegung und Abwechslung. Als Jamie geboren war, genoß sie das Alleinsein, das Zusammensein mit dem kleinen Kind noch stärker. Jeden Herbst kehrte das Schiff über den Atlantischen Ozean zurück. Die Apfel reiften, die Blätter färbten sich und begannen von den Bäumen zu fallen, und plötzlich kam eine Kutsche in die Straße gerattert, und die Eingangstür flog auf. Wind fegte durchs Haus, und alles wurde anders.
    Dann, im Frühjahr 1768, wurde er mit der ersten großen Reise beauftragt. Die Südsee sollte er befahren, die Bahnen von Sternen und Planeten beobachten und
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