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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise
Autoren: Anna Enquist
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hatten natürlich warten wollen, um das Schiff auslaufen zu sehen, doch der launische Wind hatte schon wieder gedreht, und die Matrosen gingen an die Arbeiten zurück, die sie wegen der bevorstehenden Abfahrt hatten ruhen lassen. »Es dauert zu lange«, hatte sie gesagt. »Es dauert vielleicht sogar bis morgen.« Sie hatte sich plötzlich davor gescheut, sich die tatsächliche Abreise anzusehen. Das mühsame Hissen der Segel, das Losmachen der Leinen am Kai, die dann noch kurz durchs Wasser schleiften, bis ein Matrose sie an Bord zog, dieser Moment des Schauderns, bevor der Wind die Segel erfaßte – nein, sie wollte es nicht sehen.
    Zu Hause, als die Jungen schliefen, hatte sie über die mangelnde Post nachgedacht. »Du kannst ja ein Haustagebuch schreiben«, hatte James gesagt, »so wie ich das Schiffstagebuch führe. Du kannst so viel besser schreiben als ich. Ich könnte es lesen, wenn ich zurück bin. So kannst du mir alles erzählen. Und du liest mein Journal. Dann wissen wir genau, was passiert ist, nur einige Jahre später. Es liegt lediglich Zeit dazwischen.«
    Sie hatte sich gedemütigt gefühlt und verstand nicht, warum. Monate später hatte sie seinen Brief vom Kap empfangen, den er einem schnellen Frachtschiff mitgegeben hatte. Sie war gerade niedergekommen und lag noch im Bett. Sie sah das runde Köpfchen des Kindes in seiner Wiege. George hieß der Kleine, das hatten sie vereinbart, und daran hielt sie sich. Sie richtete sich auf, um den Brief zu lesen.
    Ich schreibe seit Tagen in großer Hast. Ich gebe Briefe für Banks, für die Admiralität und für Walker mit. Ich vertraue darauf daß Du und die Jungen – wohlauf seid und bei der Geburt alles gut verlaufen ist. Du weißt, daß die Admiralität Geld für Dich zurückgelegt hat. Wenn Du mehr brauchst, mußt Du es Stephens schreiben. Nur keine Scheu! Der Fisch, den Banks für mich an Bord bringen ließ, – war verdorben! Ich habe auf Madeira tausend Bund Zwiebeln gekauft und hier ein Dutzend Gänse. Isaac läßt Dich grüßen, er entwickelt sich zu einem umsichtigen Seemann.
    Sie hatte sich in die Kissen zurückfallen lassen. In der Tat, es lag Zeit dazwischen.
    Ich muß alles ganz intensiv erleben, hatte sie gedacht, dann vergesse ich es nicht und kann es erzählen, wenn er wieder da ist. Wie die Jungen wachsen, was sie mir beim Essen erzählen. Wie dieses neue Kind auf die Welt gekommen ist, wie benommen und erschöpft es jetzt daliegt und schläft – alles muß ich erleben und mir merken.
    Über seine Bemerkung zu Banks' Abschiedsgeschenk mußte sie kichern. Der adlige Botaniker hatte ihren Mann zur Verzweiflung getrieben und es verstanden, die Abreise um Monate zu verzögern. Mit dem ganzen Gewicht der Akademie der Wissenschaften im Rücken hatte er sich seinerzeit einen Platz für die erste Reise gekauft und war mit einer riesigen Gesellschaft aus Wissenschaftlern und Bediensteten sowie einigen Windhunden an Bord gegangen. James hatte Vorbehalte gehabt, jedoch keine Möglichkeit gesehen, ihm den Zutritt zur Endeavour zu verwehren. Im Laufe der Zeit war der Groll freilich in Wertschätzung umgeschlagen. Banks erwies sich, als er sich einmal von der Anfängerseekrankheit erholt hatte, als ein unermüdlicher und begeisterter Forscher. Er sprang als erster an Land, wenn sie irgendwo anlegten, und schleppte seinen Kollegen, den dicken Schweden Solander, auf botanische Beutezüge mit. Die gefundenen Pflanzen und Samen wurden gezeichnet, beschrieben und aufbewahrt. Das gefiel James. Banks hatte sich alles mögliche erlaubt, ohne ein Hehl daraus zu machen, hatte mit einheimischen Frauen geschlafen und einen schlauen Tahitianer an Bord geholt, den er mit nach England nehmen wollte. Der arme Teufel war zwar in Batavia am hitzigen Fieber gestorben, aber dennoch. Obwohl Banks mit seinen Taten Cooks Autorität zu untergraben schien, nahm dieser ihm das alles nicht übel, weil es auf eine so natürliche und entwaffnende Art geschah.
    Auch bei Tisch fanden die Männer zusammen. Sie hatten Spaß daran, besonders ausgefallene und unappetitliche Tiere zu essen: Kormorane, Känguruhs, Hunde. Aus einer Verabredung zum Affenessen war aber nichts geworden, weil Banks den an Stöcken festgebundenen und ängstlich kreischenden Affen in letzter Minute freiließ. James hatte ihn mit dem Messer im Anschlag auf den Affen zugehen sehen und dachte, er wolle das Tier schlachten. Doch dann fielen die Fesseln ab, und er sah den Affen davonspringen. Auch in seinem Kampf
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