Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Ausfahrt Oxford

Letzte Ausfahrt Oxford

Titel: Letzte Ausfahrt Oxford
Autoren: Veronica Stallwood
Vom Netzwerk:
entschieden, das Angebot anzunehmen.«
    »Als Löwenbändigerin? Oder Privatdetektivin? Was entspricht eher Ihrer Persönlichkeit und Ihrer Qualifikation?«
    »Ich werde eine Zeit lang in einem der langweiligsten und gesetzestreuesten Jobs arbeiten, die man sich nur vorstellen kann. Ohne die geringste Hoffnung auf irgendwelche Aufregungen.«
    Er hob die Augenbrauen. »Assistentin eines Leichenbestatters?«
    »Ganz nah dran. Ich werde Bibliothekarin.«
    »Das schaffen Sie nie! Man wird Sie ganz schnell rauswerfen. Wegen undamenhaften Verhaltens im Dienst.« Detective Sergeant Paul Taylor lachte und trat fester in die Pedale.
    Einem Impuls folgend rief Kate ihm nach: »Wissen Sie etwas über ein Mädchen namens Jenna?«
    Er stutzte kurz und sagte dann etwas über seine Schulter hinweg. Es klang wie: Totes Mädchen mit Pfingstrose .
    Wahrscheinlich hatte sie ihn nicht richtig verstanden. Sie wiederholte ihre Frage, aber dieses Mal kam keine Antwort mehr. Paul Taylors schwarze Radlerhosen entfernten sich schnell, waren bald weit voraus und verschwanden um die nächste Kurve. Totes Mädchen mit Pfingstrose? Das hörte sich an wie der Titel eines Ölgemäldes – etwas aus der Zeit der Präraffaeliten. Vielleicht bedeutete es aber auch einfach nur, dass Jenna nicht mehr lebte. Wahrscheinlich würden Monate vergehen, ehe sie Paul Taylor das nächste Mal zu Gesicht bekam.
    Vielleicht war es das, wonach sie suchte: ein Mann, der aus dem Nichts auftauchte, drei oder vier Sätze mit ihr wechselte, sie neugierig machte und dann verschwand.

II
Der unzuverlässige Erzähler
    D iese Woche möchte ich , dass Sie noch einen Schritt weiter zurückgehen und Ihre Geschichte durch die Augen eines Erzählers sehen , dessen Sicht der Ereignisse nicht unbedingt dem genauen Hergang entspricht . Sehen Sie sich nicht gezwungen , Ihre fertige Arbeit abzugeben . Es ist nicht jedem angenehm , sein Erstlingswerk von einem Fremden lesen zu lassen . Versuchen Sie dennoch , den Anweisungen zu folgen , die ich Ihnen jede Woche mitgebe .
     
    Ich war seit, ach, mindestens fünfundzwanzig Jahren nicht mehr in Oxford gewesen und dachte, ich hätte die Tanten vergessen. Aber wenn jemand stirbt, muss man hin; das wird einfach erwartet. -Man muss sich verabschieden und kann nur hoffen, dass der Leichnam ruhig in seinem Sarg liegen bleibt und nicht etwa des Nachts durch Träume geistert, wie es manchmal Lebende tun.
    Fünfundzwanzig Jahre? Vielleicht war es sogar ein ganzes Jahrhundert. Möglicherweise aber auch etwas kürzer. Wenn ich meinen Kopf gegen den Zugsitz lehne, meine Augen schließe und die weichen Blütenblätter der Blumen berühre, dann dräuen die Tanten über mir, bunt bemalt und nach Veilchenparfüm duftend, wie aus einer anderen Welt.
     
    Mit purpurnen Lippen lächelten sie mich an.
    »Deine Mami muss für eine Weile fort«, sagte die erste.
    »Natürlich will sie dich nicht allein lassen«, sagte die zweite, »und sie kommt zurück, sobald sie kann.« Ein rundes Gesicht, runzelig wie ein rosa Luftballon am Morgen nach der Party, beugte sich zu mir hinunter und verströmte Veilchenduft.
    »Du darfst mich Tante Dilly nennen«, sprach es. Zumindest habe ich den Satz so in Erinnerung.
    Die zweite Frau war größer, barscher und dunkeläugiger. Sie hatte einen weichen grauen Schnurrbart und falsche Zähne, die sich blassgrün gegen ihr gebräuntes Ledergesicht abhoben.
    »Tante Nonie«, sagte sie. (Auch hier verlasse ich mich auf das, was meine Erinnerung aus dem Treibsand längst vergangener Zeit fischt. Ihr Brief gestern war mit dem Buchstaben A unterzeichnet.)
    »Wir haben dich sehr lieb, Viv«, erklärte Nonie. »Natürlich haben wir dich lieb.«
    »Du bist unser lieber kleiner Vivvy«, fügte Dilly hinzu. »Unser süßer kleiner Liebling.«
    Warum mussten sie das immer wieder sagen? Wird Liebe zum Leben erweckt, wenn man das Wort laut ausspricht? Ich jedenfalls habe so etwas nie sagen können. Ich weiß nicht, warum. Keine Ahnung.
    Aus dem Radio in der trüb beleuchteten Küche hinter ihnen kam Musik mit vielen Trompeten und Trommeln, dem dumpfen Humpta Humpta einer Tuba und dem Scheppern eines Tamburins. Tanten? Nein. Ich erkannte sofort, was sie wirklich waren. Grässliche Schwestern waren sie. Hexen. Und ich war in ihrem verzauberten Haus gefangen.
    »Ich habe die Kruste von deinem Butterbrot abgeschnitten«, sagte Dilly.
    »Räucherheringspaste«, sagte Nonie, »mit Tomatenscheiben. Etwas ganz Besonderes.«
    »Mit Heinz-Salatcreme.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher