Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Aufzeichnungen

Letzte Aufzeichnungen

Titel: Letzte Aufzeichnungen
Autoren: Erich Honecker
Vom Netzwerk:
und in der Tschechoslowakei. Dazu die Zwangsarbeiter, die in ihre Heimat zurückströmten. Millionen waren unterwegs. Ich habe im Dezember 1945 in den Bahnhöfen von Eisenach und Fulda mit Heimatlosen auf dem blanken Fußboden geschlafen. Der Wechsel von der sowjetischen in die englische oder in die amerikanische Zone war besonders schwierig.
    Erst mit der Zeit kam das politische und gesellschaftliche Leben über die Zonengrenzen hinweg in Gang. Im Juni/Juli 1945 traten Parteien, Gewerkschaften und Jugendorganisationen in Erscheinung. Sie sammelten und organisierten sich. Sportorganisationen waren noch verboten. Die Perspektive blieb unklar. An »Deutschland« dachten die wenigsten Deutschen. Ihre Not war zu groß. Das war überall so. Ich las das auch in den Erinnerungen von Franz Josef Strauß, der als Landrat an die Arbeit ging, um das Leben in Gang zu bringen. 53 Man kann es auch im Buch von Stefan Heym über die Schwarzenberg-Republik erkennen. 54 So, wie er es beschrieb, lebte man damals nahezu überall.
    Mit dem Einzug der Truppen Englands, Frankreichs und der USA in Berlin und der Sowjettruppen in Sachsen-Anhalt und Thüringen bildete sich langsam heraus, was politisch aus Deutschland werden würde. Als ich im Mai 1945 mit Walter Ulbricht in Berlin-Lichtenberg sprach, sagte er: »Bleib hier, das Saargebiet bekommen die Franzosen.« So kam es dann ja auch. Aber es gab keine Vorstellungen darüber, was konkret aus dem Land wird, obwohl große Schilder in der sowjetischen Besatzungszone die Worte J. W. Stalins verkündeten: »Die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt.« In welchem Rahmen, in welchem Gebiet, war unklar.
    Als wir uns nach der Befreiung in Brandenburg-Görden voneinander verabschiedeten, brachen viele Genossen auf nach Breslau, nach Stettin, nach Königsberg. Das war ihre Heimat. Der Weg dorthin war ihnen versperrt. Ihnen strömten Flüchtlinge entgegen. Für die Genossen, die aus dem Sudetengebiet stammten, war ebenfalls kein Platz mehr. Selbst Mitglieder des Politbüros der KPTsch mussten ihre Sachen packen und fanden sich in der sowjetischen Besatzungszone in Berlin wieder.
    Nach der Potsdamer Konferenz wurde es klarer. Als Ostgrenze wurde die Oder-Neiße festgelegt. Die Grenze zur Tschechoslowakei verläuft entlang dem Erzgebirge wie schon immer. Die Zonengrenzen zwischen der sowjetischen Zone einerseits und der britischen und amerikanischen Zone anderseits blieben dicht. Eine Ausnahme bildeten die Sektorengrenzen in Berlin, dem Sitz des Kontrollrates der Vier.
    An eine freie Bewegung der Menschen in Deutschland war vorerst nicht zu denken. Es gab auch keinen Staat Deutschland. Als wir 1947 mit den Vertretern der Jugendorganisationen, die in den Zonen entstanden waren, im »Haus Altenberg« bei Köln am Rhein zusammentrafen 55 , gab es noch kein »Deutschland«.
    Vertreter der britischen Besatzungsmacht erteilten »Hinweise«, dass wir über alles sprechen dürften, nur nicht über Deutschland oder über einen Friedensvertrag mit Deutschland.
    Erst 1948 durften wir in Warschau als Deutsche auf einer internationalen antifaschistischen Konferenz auftreten. In Prag war uns das schon im Vorjahr erlaubt worden, doch wir erhielten keine Einreisegenehmigung, kein Visum. Wir mussten mit einem Wagen der Roten Armee zur Tagung des Weltbundes der demokratischen Jugend fahren. Stalingrad, das ich 1947 besuchte, war schwer auszuhalten. Diese Ablehnung hatten wir Hitler zu verdanken. Seine Raubzüge, sein Vernichtungsfeldzug gegen die »slawischen Untermenschen«, gegen die Juden, Sinti und Roma waren Deutschlands Unglück. Aber das war ja Hitler nicht allein. Hinter ihm standen Vertreter der Großbourgeoisie, der Konzerne und Banken und die Junker.

    Der OdF-Ausweis vom September 1945
    Die vier Alliierten verständigten sich mit Ach und Krach über Grundzüge der Nachkriegsentwicklung. Sie konnten sich schon nicht mehr über die Durchführung ihrer Beschlüsse zu Deutschland einigen.
    Unter dieser Ebene trafen sich deutsche Vertreter, die letztlich in diese Konfrontation der Siegermächte hineingezogen wurden. Die Gewerkschaften hielten Interzonenkonferenzen ab.
    Im Juni 1947 lud der bayerische Ministerpräsident alle Ministerpräsidenten aus den vier Zonen nach München ein, um über die Zukunft Deutschlands zu diskutieren. Sie gingen ohne Ergebnis auseinander. An ihre jeweilige Besatzungsmacht gekettet, konnten sie sich nicht frei über Deutschland verständigen. Die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher