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Lesereise Tschechien

Lesereise Tschechien

Titel: Lesereise Tschechien
Autoren: Klaus Brill
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Stellvertreter sogar und als solcher zuständig für Vermögensverwaltung, Stadtentwicklung, Investitionen und Verkehr. Der Landwirt und Manager war 1989 einer der Akteure der Wende in Karlsbad, danach hat er alle Phasen der Desillusionierung miterlebt und trotzdem vor Jahren mit Freunden beschlossen, »die Sache nicht einfach weiterlaufen zu lassen«. Als Mitbegründer einer liberalkonservativen »Alternativen Vereinigung« war er ein Vorkämpfer für Moral und Anstand und ein Wortführer der Opposition. In gewisser Weise kann man seinen Wahlerfolg als eine zweite Welle der »sanften Revolution« von 1989 verstehen. Zu viele Hoffnungen blieben damals unerfüllt, und Karlsbad ist für Kotek ein Beispiel, »wie schwierig es ist, in einem kleinen Städtchen den Weg von der totalitären Vergangenheit in die Freiheit zu finden«. Er lacht und setzt hinzu: »Es braucht drei Generationen.«
    Kotek weiß, dass die neue Mehrheit fragil ist, und deshalb will er jetzt möglichst rasch möglichst viel verändern: Strukturen, Regeln, eingefahrene Gewohnheiten, das ganze System. Die Vergabe städtischer Aufträge bedarf neuer Vorschriften, Karlsbad braucht auch neue Arbeitsplätze. Zu viele junge Menschen wandern ab, mit Mühe hält die Stadt die Einwohnerzahl noch über der Grenze von fünfzigtausend. Nicht nur bei Immobilien liegen die Preise auf Prager Niveau, die Löhne und Gehälter aber am Ende der Skala im Land. Natürlich bleibt der Badetourismus die Basis allen Wirtschaftens, und gerade deshalb soll Karlsbad nach dem Willen der neuen Mehrheit das gesamte historische Ensemble des Kurgebiets zum Eintrag in die UNESCO -Liste des Weltkulturerbes vorschlagen, gemeinsam mit den Nachbarn Marienbad und Franzensbad, mit denen es das legendäre böhmische Bäderdreieck bildet.
    Es gehört zu den historischen Paradoxien der Stadt, dass ihre wertvollen Bauten, die jetzt von Russen gekauft und saniert wurden, ihre Existenz zumeist den früheren deutschstämmigen Bewohnern verdanken, die hier bis zur Vertreibung 1945 über fünfundachtzig Prozent der Bevölkerung stellten. Die Gegend war, wie der Historiker und Lokalpatriot Stanislav Burachovič beim Gespräch in seinem Wohnzimmer hervorhebt, im Mittelalter von deutschsprachigen Siedlern urbar gemacht, die Stadt von deren Nachkommen geformt worden. Unter ihnen waren Unternehmerdynastien wie die der Becher (Likör), Moser (Kristall), Pupp (Hotellerie) und der ursprünglich aus Italien stammenden Mattoni (Mineralwasser). Im Villenviertel findet man auf Häusern noch heute Aufschriften wie Bayer, Fink oder Riedl, und auf dem Karlsbader Friedhof sind die deutschen Namen absolut dominant. Vizebürgermeister Jiři Klsák sagt dazu den erstaunlichen Satz, er sehe es »als ein großes Minus« an, dass die Tschechen auf das »große Potenzial« der Deutschen verzichtet hätten, denn diese hätten seit achthundert Jahren zur Entwicklung der Region beigetragen.
    Wie viel Zustimmung er damit bei seinen tschechischen Mitbürgern finden würde, ist schwer abzuschätzen. Nach der Revolution von 1989 befürchteten viele, vor allem die Älteren, jetzt könnten die Sudetendeutschen zurückkommen und ihr enteignetes Vermögen zurückverlangen. Doch dies passierte nicht, auch deutsche Investoren waren sehr zurückhaltend. Im Gegensatz zu den Russen, die dann zum Zuge kamen.
    »Die Russen lieben Karlsbad«, sagt der Historiker Burachovič, und für ihn gibt es auch ein Indiz, dass diese Liebe sich manchmal ins Magische steigert. Jedenfalls gibt es in der Stadt einen Mann, einen Einheimischen, der zum Privatvergnügen Jahr für Jahr durch die Tepl watet und die Münzen einsammelt, die die Kurgäste dort in der Hoffnung auf Glück und Gesundheit hineinwerfen. »Es sind«, sagt Burachovic, »zu neunundneunzig Prozent russische Rubel und Kopeken.«

Mit Siegel von der Königin
Der Diebstahl historischer Briefe in Eger und die Plünderung vieler Kirchen gefährden das Kulturerbe
    Die Polizei kommt regelmäßig vorbei, erst jüngst war wieder ein Kriminalkommissar aus Karlsbad da und hatte eine Reihe von Fotos dabei. Darauf waren Menschen zu sehen, die mit den verschwundenen Urkunden in Verbindung stehen könnten. Im staatlichen Bezirksarchiv von Eger aber konnte kein Bediensteter eine der gezeigten Personen als Benutzer des Archivs identifizieren. Nichts Neues also. Es wird ermittelt, die Polizei hat auch konkrete, namentlich bekannte Verdächtige im Blick. Aber noch immer ist nicht aufgeklärt, wer in den
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