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Lesereise Schweiz

Lesereise Schweiz

Titel: Lesereise Schweiz
Autoren: Beate Schuemmann
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Nordvierecks hatte sich der Churer Bischof Norbert im 11. Jahrhundert eine turmartige getäfelte und reich dekorierte Suite mit Saal und eine zweigeschossige Kapelle gebaut. Der »Norbertsaal«, die Ulrichskapelle und einige andere Räume sind als Museum zugänglich.
    Trampelpfade führen quer über den Friedhof zum Kernstück der Anlage, der um 800 entstandenen schlichten Klosterkirche, einem der wenigen erhaltenen karolingischen Gotteshäuser. Man betritt scheinbar eine andere Welt. Die wenigen Fenster werfen lediglich Lichtpfützen in den zwölf Meter breiten Raum. Den vormals stützenlosen Kirchenraum ließen die Äbtissinnen 1492 mit einem auf mächtigen Rundpfeilern ruhenden Rippengewölbe versehen. Das Gebäude lässt den Besucher verstummen. Nur die Schritte hallen dumpf durch das Gemäuer. Ehrfurchtsvoll versucht man noch leiser zu gehen. Denn hinter den kalkmörtelverputzten Bruchsteinmauern beherbergt St. Johann seinen eigentlichen Schatz, die karolingischen Wandmalereien, die erst Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt wurden. Als die Renovierungsarbeiten 1950 begannen, legten staunende Restauratoren in der kleinen Kirche des Alpenklosters den frühmittelalterlichen Freskenzyklus frei. Die Szenen aus dem Leben Christi, Davids und Johannes des Täufers, die den Innenraum einst vollständig geschmückt hatten, waren in romanischer Zeit aus der Mode gekommen; man übertünchte sie einfach.
    Seit der Restaurierung erstrahlen an allen Wänden wieder die ursprünglichen Malereien in ihren rötlich und gräulich schimmernden Erdfarben. Die Bilder visualisieren das Drama von Jesus Christus, dem die Müstairer Kirche geweiht ist. Johannes der Täufer taucht auf, denn er ist der Schutzpatron des Klosters. Erst verwirrt die Fülle der Allegorien, doch bei genauerem Hinsehen offenbart sich ein klug durchdachtes, harmonisches Gesamtgebilde. Die Reihe aus ursprünglich neunzig gerahmten Einzelbildern beginnt oben links an der Südwand und setzt sich über die West- und die Nordwand fort. Unter den zahlreichen Skulpturen aus dem frühen und hohen Mittelalter findet man auch eine Statue von Karl dem Großen. Die Nonnen sagen, man müsse das Kloster mit dem Herzen sehen, damit man es von innen erblicken könne.

Im Spannungsfeld der Mächte
St. Gallen als geistiges Zentrum des Abendlands
    Die Schweiz war noch nicht geboren, als der irische Wandermönch Gallus sich mit einigen Brüdern auf den Weg gen Süden machte. Im voralpinen Steinachtal zwischen Bodensee und Säntis hatte er einen Traum. Die wilde Natur verwandelte sich plötzlich in steinerne Türme und die weichen grünen Moospelze in Plätze, auf denen viele Menschen durcheinanderhasteten. Eine traumhafte Vorstellung, fand er. Der Ort erschien ihm günstig, und er gründete im Jahr 612 eine Einsiedelei. Er baute ein Bethaus aus Holz und richtete die dazugehörigen Schlafstätten für die frommen Brüder her. Gallus war längst verstorben, da übernahm gut hundert Jahre später der Alemanne Otmar als erster St. Galler Abt die Leitung der Brüdergemeinde. Er führte die Benediktinerregeln ein.
    Die Mönche beschränkten sich nicht auf das Gebet, sondern arbeiteten ihrem Regelbuch gemäß hart, bestellten das Land, erwarben umliegende Ländereien, gründeten Städte, trieben regen Handel, erhoben Zölle und prägten ihre eigenen Münzen. Der Erfolg der Benediktiner zog immer mehr Mönche in das Voralpental, in dem nach und nach ein Zentrum abendländischer Wissenschaft und Kultur entstand. Die reich geschmückte Stiftsbibliothek, wie sie sich heutzutage im überschwänglich verspielten Stil des Rokoko zeigt, spricht Bände über den Geist und den Wirkungskreis des Klosters: hundertdreißigtausend Bücher, teils kunstvoll in Gold- und Elfenbeintafeln gebunden, darunter tausendsechshundertfünfzig frühe Drucke und zweitausend Handschriften, die in bis unter die Decke reichende Regale sortiert sind. Im Namen der Rose: Der italienische Schriftsteller Umberto Eco, der in seinem Roman dem klösterlichen Leben auf der Spur war, hätte wohl seine Freude an diesem riesigen Konservatorium des Wissens. Doch Erfolg und Macht schwächen, und der übermütige Sieger arbeitet an seinem Untergang.
    In der Moderne gelten die Schweizer als vorbildlich in Bescheidenheit. Die großen Reformatoren Huldreich Zwingli und Johannes Calvin haben ihnen das im 16. Jahrhundert beigebracht. Die Eidgenossen scheinen gegen alles Großtun, gegen Prahlerei, Eitelkeit und lautes Tönen mit von Herzen
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